Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
Klipper untergingen? Er schließt die Augen und verdrängt die Erinnerungen. Bedauern ist Leiden.
Er atmet tief durch, richtet sich steifbeinig auf und lässt den Blick durch das Zimmer schweifen, um sich zu vergewissern, dass alles an seinem Platz ist. Dann dreht er sich um und schiebt seine Tür auf. Holz kratzt über Sand. Er schlüpft hinaus in die enge Gasse, die Hauptdurchgangsstraße des Slums. Die Tür sichert er mit einer Lederkordel. Ein Knoten, mehr nicht. In das Zimmer ist bereits eingebrochen worden. Und nicht zum letzten Mal. Das hat er einkalkuliert. Ein großes Schloss würde nur die Aufmerksamkeit der falschen Leute auf sich ziehen; ein armseliges Stück Leder lockt niemanden.
Der Weg, der aus dem Yaowarat-Slum hinausführt, ist von Menschen gesäumt, die im Dunkeln kauern. Die Hitze der Trockenzeit lastet auf Hock Seng – sie ist so stark, dass sie allen den Atem zu rauben scheint, und das trotz der Chao-Phraya-Deiche, die schattenhaft aufragen. Von der Hitze gibt es kein Entkommen. Sollte der Damm brechen, würde das ganze Elendsviertel in kaltem Wasser ertrinken, aber bis das geschieht, stolpert Hock Seng schwitzend durch das Labyrinth der Gassen und drückt sich gegen zweckentfremdete Blechwände.
Er springt über offene Abflussgräben voller Scheiße. Balanciert über Planken und schlüpft an Frauen vorbei, die über dampfenden Töpfen mit U-Tex-Glasnudeln und stinkendem, in der Sonne getrocknetem Fisch schwitzen. Ein paar der mobilen Garküchen, die entweder die Weißhemden oder den Pi Lien des Slums bestochen haben, unterhalten auf der Straße kleine Dungfeuer, und der dichte Qualm und der Geruch von erhitztem Chiliöl erfüllen die Gassen.
Vorsichtig macht er einen Bogen um dreifach abgeschlossene Fahrräder. Kleider und Kochtöpfe und Abfälle quellen unter Abdeckplanen hervor auf den Bürgersteig. Menschen rascheln die Wände entlang: Ein Mann hustet sich durch die letzten Stadien einer Wasserlunge; eine Frau beklagt sich darüber, dass sich ihr Sohn unablässig mit Lao-Lao betrinkt; ein kleines Mädchen droht ihrem Brüderchen Schläge an. In den aus Planen errichteten Hütten ist Privatsphäre ein Fremdwort, aber zumindest halten die Wände eine höfliche Illusion aufrecht. Das ist auf jeden Fall besser, als zusammen mit den anderen Yellow Cards in den Expansionshochhäusern eingesperrt zu sein. Für Hock Seng ist dieses Elendsviertel ein Luxus. Unter den einheimischen Thai fällt er nicht weiter auf. Hier ist er sogar sicherer als in Malaya. Wenn er den Mund hält und sich nicht durch seinen Akzent verrät, könnte man meinen, er wäre hier geboren.
Trotzdem, er vermisst den Ort, wo er und seine Familie zwar Fremde waren, sich aber ein Leben aufgebaut hatten. Er vermisst die mit Marmor ausgelegten Flure und die rot lackierten Säulen seines Anwesens, durch das die Stimmen seiner Kinder, Enkel und Diener hallten. Er vermisst Huhn nach Hainan-Art und Laksa asam, das herrlich süße Kopi und Roti canai.
Er vermisst seine Klipperflotte und die Mannschaften. (Und stimmt es etwa nicht, dass er sogar braune Menschen angeheuert hat? Sogar als Kapitän?) Seine Mishimoto-Klipper sind rund um die Welt gesegelt, sogar bis nach Europa, und an Bord hatten sie Teesorten, die gegen transgene Rüsselkäfer resistent waren. Zurück brachten sie teure Cognacs, die seit den Zeiten der Großen Expansion niemand mehr getrunken hatte. Abends kehrte er dann zu seinen Frauen zurück, aß gut, und seine ganzen Sorgen bestanden darin, dass einer seiner Söhne nicht fleißig sein oder eine seiner Töchter keinen guten Ehemann finden könnte.
Wie töricht und dumm er doch gewesen war! Er hatte sich für einen Handelsschiffer gehalten, und doch hatte er keine Ahnung gehabt, wie schnell die Gezeiten wechseln können.
Unter einer Plane kommt ein junges Mädchen hervor. Sie lächelt ihn an – noch ist sie zu jung, um sich vor einem Fremden zu fürchten. Sie strahlt geschmeidige Lebenskraft aus, um die sie ein alter Mann mit schmerzenden Knochen nur beneiden kann, und schenkt ihm ein Lächeln.
Sie hätte seine Tochter sein können.
Die Nacht über der Malaiischen Halbinsel war schwarz und schwül, ein Dschungel, der vom Krächzen der Nachtvögel und dem Surren der Insekten erfüllt war. Direkt neben ihnen plätscherte das dunkle Wasser des Hafens. Er und Vierte Tochter, dieses unnütze Kind, das einzige, das er hatte retten können, versteckten sich an der Mole zwischen Pfeilern und schaukelnden Booten, und
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