Bis ans Ende der Welt
Loch sein mochte, sah heute aus wie aus einem Werbprospekt. Das traute ich den Spaniern irgendwie gar nicht zu. Auch die Herberge war entsprechend modern und attraktiv, mit einem schönen Garten und allen Annehmlichkeiten. Sogar eine perfekt eingerichtete, funktionierende Küche gab es. Nach der Toilette machten wir uns deshalb sofort auf den Weg, um Lebensmittel zu besorgen, und dann aufs Kochen. Die Art eben, wie Franzosen miteinander umgehen. Anschließend konnte ich im Garten am Tagebuch schreiben und Leute beobachten. Dabei döste ich immer wieder mit den Hunden ein und holte etwas von dem versäumten Schlaf nach. Doch wie sich die Herberge immer mehr füllte, wurde sie entsprechend lauter. Vor allem eine südländische Frau redete ohne eine Minute Unterbrechung mit ihren zwei Begleiterinnen zugleich auf Italienisch und Spanisch. Auch die italienische Pfadfindergruppe traf bald ein und trug viel zum Lärmpegel bei. Da war nichts zu machen, als ins Café zu gehen und dort dem französisch-spanischen Paar Gesellschaft zu leisten. Bald tauchte auch Philippe auf. Hier auf der Straße vor dem Café war es wunderbar still, es gab keine Autos, keine Passanten, niemand lärmte und schrie. Wir kehrten nicht eher in die Herberge zurück, bis es dunkel wurde, und alle Schreihälse bereits schliefen. Was natürlich nicht bedeuten sollte, daß sie es leise taten. Wie die Nacht zuvor wachte ich bald wieder durch das impertinente Schnarrchen auf. Es war hoffnungslos, also ging ich hinaus, um mit dem Herrn zu reden. Er hat sich seit zwei Tagen nicht blicken lassen, Kirchen waren in diesem katholischen Spanien sowieso alle zugesperrt. Es war eine warme, sternklare Nacht, zu diesem Zweck wie geschaffen. Tief im Garten konnte ich durch die offenen Fenster das wütende Schnarchen noch immer gut hören. Auch die Unruhe, die das Geräusch unter den anderen Schlafenden verursachte. Ständig stand jemand auf und machte sich auf den Weg zur Toilette. Als meine Zeit draußen um war, kehrte ich ins Zimmer zurück und fand den Schnarcher. Jawohl, es war einer der italienischen Pfadfinder, wie ich vermutet habe. Der Kerl schnarchte und schnaubte völlig unbekümmert. Wären Bären in der Gegend, wären sie gewiß vor Angst weggelaufen. Ich schubste ihn bißchen an, doch er schnarchte nur noch lauter. Ihn in den Garten hinauszutragen, wäre ein guter Streich. Ich sah ihn an und wußte, heute werde ich wieder nicht schlafen. Und auch nicht morgen und übermorgen, sollte der Zufall uns wieder in einer Herberge zusammenführen. Wie konnte jemand scheinbar völlig legitim seine Umgebung derart terrorisieren? Es war zum Verzweifeln. Kurz entschlossen, packte ich ihn an der Nase und hielt zu. Da gab er immer noch nicht auf, setzte einfach das Atmen aus, und wartete auf die nächste Runde. Aber ich saß am längeren Hebel. Schließlich kam er mühsam zu sich, rollte wütend die Augen und stierte orientierungslos durch die Nacht. Mangels besseren Italienisch grunzte ich ihn wie ein Trüffel suchender Eber an und war schon wieder im meinem Bett verschwunden. Der Plan war, so schnell einzuschlafen, bevor er mich durch erneutes Schnarrchen daran hindern konnte. So etwas gelingt nicht immer, da Schnarcher verteufelt schnell ihr verderbliches Tun wiederaufnehmen können, aber ich hatte Glück. Es wurde nämlich die ganze italienische Equipe wie durch einen tierischen Instinkt nach und nach wach, stand auf und zog in den Garten, um zu rauchen und das Rätsel zu besprechen. Diese Frist reichte mir. Ich schlief ein und wie ein Baby die ganze Nacht hindurch, ohne noch einmal aufzuwachen.
Cirauqui, km 2141
Es war herrlich, am nächsten Morgen ausgeschlafen und voller Kraft aufzustehen. Die Sonne schien, und die Vögel zwitscherten. Mit dem schlechten Wetter war nun endgültig Schluß. Auch die anderen Pilger machten einen erholten, fröhlichen Eindruck. Nur die italienischen Pfadfinder waren irgendwie mau und schweigsam. Entweder mauschelten sie untereinander oder versuchten, andere anzubohren. Sie hätten heute schlecht geschlafen, seien belästigt worden, etwas sei los gewesen, habe niemand sonst etwas gemerkt? Keiner merkte was oder wollte was gemerkt haben. Man trank Kaffe, mampfte Kuchen oder was gerade vorrätig war, lachte, schwätzte, studierte Karten und machte Pläne. Die südländische Frau lärmte auf Italienisch-Spanisch dahin und hörte keine Sekunde auf. Alles wie üblich. Ich hätte den Fall freilich aufklären können und hätte es
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