Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
Vom Netzwerk:
Blasen, Gelenkschmerzen, Hitzeschlag, Dünnschiß. Dann aber taten mir die Leute leid, auch wenn ich ihnen umgekehrt selbst vielleicht gar nicht leid täte, und ich mußte an Joanna denken, wie sie unterwegs vor Schmerzen weinte. Ein mitpilgernder Portugiese aus Deutschland klärte mich jedoch auf, bei seinen Landsleuten sei gerade das Leiden das Wesentliche daran. Man lege Nägel in die Schuhe, peitsche sich aus. Eine fragwürdige Auffassung, wenn man mich fragte. Ich sah noch die freudig händereibenden Holländer in Roncesvalles vor mir, wie sie sich freuten und schwadronierten, der wahre Pilger müsse leiden, köstlich sei das.
    Wir erreichten bald eine sehr schöne Herberge, ein Stadthaus mit einer großen, schattigen Veranda über dem Platz, mit kleinen, gemütlichen Zimmern. Es war fast wie ein Zuhause. Auf der Veranda konnte man bequem die Wäsche trocknen, dabei in Ruhe lesen oder kleine Gespräche führen. Es herrschte eine herzliche, aufrichtige Stimmung. Früher einmal war das eine Weinkellerei. Heute diente der Keller als Speisesaal. Alte Möbelstücke sorgten für Ambiente. Die Weinberge gaben noch Frucht, der kleine Ertrag lohnte sich allerdings nicht vermarktet zu werden. Die Wirtin ließ uns zum guten Abendessen soviel davon trinken, wie jeder nur mochte. Ich mochte sehr. Sogar die verwöhnten Franzosen waren von Speise und Trank angetan. Vor lauter Übermut stieß ich mir die Zehe an der Stufe vor der Zimmertür auf. Einen Augenblick dachte ich gar, sie sei gebrochen. Sie war es nicht, aber eine kleine Weile hatte ich Angst, hier vielleicht aufgeben zu müssen. Ich schimpfte mit mir, mich auf meine Aufgabe besser zu konzentrieren statt sinnlos herumzublödeln. Ein masochistischer Portugiese möge vielleicht gerne mit gebrochener Zehe weitergehen, ich aber nicht. Dann aber kam mir, daß der Herr einem immer nur soviel auflegt, wieviel man wirklich tragen kann. Ein Kirchenlied fiel mir ein: Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, / verricht das Deine nur getreu / und trau des Himmels reichem Segen, / so wird er bei dir werden neu. / Denn welcher seine Zuversicht / auf Gott setzt, den verläßt er nicht. [58]
Villamayor de Monjardin, km 2165
    Am Morgen schon waren alle Gaumenfreuden des Vortags vorbei und vergessen. Die Hitze fürchtend schlichen die Pilger bereits um sechs Uhr aus der Stadt. Im Halbdunkel sah sie alt und müde aus. Eine verfallene römische Brücke und die Reste der Römerstraße zeugten von ihrer langen Geschichte. Der frühe Aufbruch war eigentlich unnötig. Es sah nämlich nach Regen aus. In der Herberge gab es keine Möglichkeit zu frühstücken, und alle Geschäfte hatten noch zu. Es blieb nichts anderes übrig, als kalt und hungrig weiterzugehen. Philippe schien es nicht zu bedauern, legte dann auch gleich los, daß keiner mehr die Chance bekam, uns noch zu überholen. Bereits um zehn Uhr hatten wir die ersten zwanzig Kilometer hinter uns, das war ja fast die ganze Tagesetappe. Erst da stießen wir auf einen kleinen Laden und konnten Lebensmittel für die Mittagspause kaufen. Ich ließ mir ein herrliches Schinkensandwich machen und nahm ein Trinkjoghurt dazu. Das Brot war noch warm und das Joghurt herrlich kühl, und ich wollte beides noch in diesem jungfräulichen Zustand konsumieren. Und während ich mir die frischen Sachen schmecken ließ, zog Philippe stur weiter. Er wolle lieber in dem nahegelegenen Benediktinerkloster Irache Mittagspause halten. Das war ein guter Argument. Irache ist zweifellos ein interessanter, kulturhistorisch bedeutender Ort. Einer ausgedehnten Mittagspause gewiß würdig. Schon unter den Westgoten stand hier eine Mönchsklausur. Sancho I. Garcés, König von Navarra, eroberte es 914 von den Mauren zurück, und es wurde zum geistigen und geistlichen Bollwerk der Reconquista. Die Benediktinerabtei wird zum ersten Mal 958 erwähnt. Die hier im Jahre 1058 errichtete Pilgerherberge war eine der ersten auf dem Jakobsweg überhaupt. Die romanische Klosterkirche stammt aus dem 12. Jahrhundert, der tolle Kreuzgang aus dem 16. Jahrhundert. Von 1569 bis 1824 war hier sogar eine Universität untergebracht. Schade, daß das Kloster 1985 von den noch übriggebliebenen Mönchen aufgegeben werden mußte. Nur der Hausmeister blieb. Doch gibt es auch moderne Touristenattraktionen. Installierte doch das örtliche Weingut einen freien Weinbrunnen, hier Fuente del vino genannt, an dem sich der Pilger unter der Aufsicht einer Webkamera moderat stärken sollte. Moderat, weil

Weitere Kostenlose Bücher