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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Antichrist ein. Angeblich der Apostel persönlich. Clavijo lag nur ein paar Kilometer weiter südlich.
    Apostel Jakob als Soldat, der freudig anderen die Köpfe einschlägt? Wo es doch in der Schrift heißt: Du sollst nicht töten. [59] Das konnte doch nicht wahr sein. War dann der Matamoros nur ein naiver Aberglaube? Eine motivierende Kriegspropaganda? Sein Grab wurde erst wenige Jahre zuvor im befreiten Compostela wiederentdeckt. Und diejenigen, die damals vor zwölfhundert Jahren der islamischen Expansion in Europa Einhalt boten, glaubten nur allzu gern an die Mithilfe des Heiligen. War der Islam doch nie nur eine wohlfeile Botschaft, Gott zu preisen und seine Gebote zu halten, sondern zielte vom Anbeginn auf die Weltherrschaft hin. Mit List oder Gewalt, wie es im Koran heißt, fanatisch, damals wie heute. Das Judentum brachte den Glauben an den einen Gott, den Schöpfer des Universums, der sich dem Menschen offenbarte und mit ihm einen Vertrag schloß, das Christentum machte die Liebe zum Mittelpunkt dieser Beziehung, der Islam brachte den Heiligen Krieg. Wie aber siegt man mit Liebe über die Gewalt? Und wieviel an Liebe können Christen denn überhaupt in den Kampf schicken? Johannes Chrisosthomos, brachte es schon vor fünfzehnhundert Jahren in der Auslegung des ersten Timotheusbriefes auf den Punkt: Leuchtet wie Lichter in der dunklen Welt, sagt der Apostel. Darum hat er uns hier zurückgelassen, daß wir andere lehren, als Sauerteig wirken, wie Engel unter Menschen wandeln, wie Erwachsene unter Kindern, wie geistliche Menschen unter sinnlichen, damit sie davon Gewinn haben, und damit wir so Samenkörner werden und viele Früchte bringen. Man bräuchte so etwas nicht zu sagen, wenn unser Leben wirklich leuchtete. Es bräuchte keine Belehrungen, wenn wir Taten sprechen ließen. Es gäbe keine Heiden, wenn wir wahre Christen wären, wenn wir die Gebote Christi hielten, wenn wir Unrecht und Benachteiligungen ertrügen, wenn wir Beschimpfungen mit Segen und Böses mit Gutem vergälten. Niemand wäre dann so stumpf, daß er nicht alsbald die wahre Religion annähme, wenn wir alle so lebten. Aber dem Geld huldigen wir genau wie sie, ja noch mehr als sie. Vor dem Tod haben wir Angst wie sie, Armut fürchten wir wie sie, Krankheit ertragen wir schwerer als sie. Ehren und hohe Stellungen erstreben wir genauso wie sie, und ebenso wie sie plagt uns der Geiz. Wie sollen sie vom Glauben überzeugt werden? Durch mehr Wunderzeichen? Wunder geschehen nicht mehr. Durch unser Verhalten? Das aber ist schlecht. Durch Liebe? Keine Spur davon ist zu sehen. Darum werden wir auch einst nicht nur über unsere Sünden, sondern auch über den Schaden Rechenschaft ablegen müssen, den wir angerichtet haben. Kommen wir doch endlich zur Vernunft! Wachen wir auf! Geben wir ein Beispiel himmlischen Lebens auf der Erde! Unsere Heimat ist im Himmel. [60]
    Leuchtet wie Licht in der dunklen Welt! Recht hat der gelehrte Johannes. Wer darf das schon von sich behaupten? Bestenfalls noch kann man das Herz in Ordnung bringen und die Hände nach dem Herrn ausbreiten. [61] In dieser Lage wäre es freilich hilfreich und gerecht gewesen, sich dafür Stärkung in einer Kirche zu holen, doch waren sie leider wieder mal alle zu. So marschierte ich durch diese kulturhistorische Schatzkammer zügig durch und verschwendete keine Pausenzeit an ein ethisches Problem, das von der Menschheit nie gelöst wurde und bis zu ihrem Untergang wohl nie wird. Doch der Gedanke blieb bei mir und folgte mir noch eine ganze Weile.
    Es gab nichts anderes zu tun als zu marschieren. Also kam ich gut voran. Nur ab und zu hielt ich ein Schwätzchen mit befreundeten Pilgern oder neugierigen Einheimischen, aber auch das hielt mich nicht auf. Nach nur sechs Gehstunden erreichte ich Viana, die dritte großartige Stadt an diesem Tage und mein Etappenziel. Sie trägt den stolzen Titel Muy Noble y Leal Ciudad de Viana Cabeza del Principado de Navarra , was bei nur viertausend Bewohnern den Nichtspaniern wohl etwas aufschneiderisch klingen mag. Aber während ein gleich großer Ort in Mitteleuropa nichts als ein schnödes Kuhdorf wäre, war das hier wieder ein Juwel, das jede europäische Metropole beschämen könnte. Die Besiedlung reicht bis in die Steinzeit zurück, unter den Römern wohnte hier die Mazedonische Legion, im Mittelalter war die Festung von Bedeutung. Cesare de Borgia, der verfemte Sohn des Papstes Alexander IV., der Niccolò Machiavelli zu der berühmten Schrift Der

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