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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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seinem Eifer nachließ. Minuten vor dem Spielende glichen sie dann plötzlich aus, und in der Verlängerung gewannen sie meist durch Elfmeterschießen. An diesem Tage war die Schweiz dran. Zwei knallrote Flaggen gegeneinander, die eine mit weißem Halbmond, die andere mit weißem Kreuz. Fast wie einst vor Wien, und kein Abendland konnte die Türken aufhalten. Wohl deswegen war kaum ein Mensch auf der Straße, als ich in Herisau ankam. Die einheimischen Schweizer Türken drückten sich in den Hauseingängen und taten unauffällig, aber die Spannung war da. Zum Beispiel lief ab und zu einer von ihnen auf die Straße hinaus, als sei er in wichtiger Angelegenheit unterwegs, doch kehrte er nach einigen Schritten um und zurück zu seinen Kumpanen. Sehr verdächtig.
    Ich bezog eine winzige Dachkammer im vierten Stock eines mittelalterlichen Hauses direkt im Zentrum. Die billigste im Angebot. Sie war nur zu erreichen, wenn man im Treppenhaus den Rucksack abnahm. Sonst blieb man stecken. Hier wollte ich jedenfalls in völliger Unwissenheit über den Spielstand des Morgens harren. Doch so winzig war sie, daß ich nach dem Waschritual doch noch auszugehen beschloß. Klaustrophobie. Außerdem war ich durstig und hungrig. Doch es gelang mir nicht, ein Restaurant ohne den obligatorischen großformatigen Fernsehbildschirm zu finden. Es gab einfach kein Entkommen, alles drehte sich um die kommende Schlacht. Inzwischen wußte ich schon, daß die Türken durch einen Losentscheid nicht im traditionellen Rot, wie es ihr Nationalstolz verlangte, sondern in einem absurden Babyhellblau spielen mußten. Nichts wollte man ihnen ersparen. Sie sahen absolut lächerlich aus, wie eine schwule Kinderkrippe beim Ausflug im Park. In einer angenehmen Pizzeria trank ich zwei Gespritzte, bezahlte soviel, wie zu Hause für eine vollwertige Malzeit, und ging schlafen. Heute war nicht mein Tag, aber es sollten noch bessere kommen, dessen war ich mich sicher. Die Türken gewannen in der oben beschriebenen Weise und demütigten die Schweizer absolut. Es kann sogar sein, daß es eben dieser Türkensieg war, welcher der vierberühmten Schweizer Wehrhaftigkeit den entscheidenden Stoß versetzte. Eventuelle Tumulte in den Straßen verschlief ich jedenfalls. Bis ins vierte Stock stiegen die Wogen, sollte es sie gegeben haben, nicht. Aber das war noch nicht das Ende. Der Kampf Europas mit dem Halbmond ging weiter.
Wattwil, km 466
    Und ich auch — am nächsten Morgen, wobei ich nicht gleich den Weg fand und niemanden fragen konnte. Alles wie ausgestorben. Doch die Schaufenster waren noch ganz und die Straßen frei von Scherben. Offenbar gab es doch keine Straßenkämpfe. Aber es nieselte. Der Führer versprach nur eine einzige Ortschaft, dafür aber zwei Berge von tausend Metern, einen imposanten Höhenweg knapp darunter und eine tiefe Schlucht, gegraben von dem Fluß Necker. Pure Romantik, und ich sollte nicht enttäuscht werden. Genau als ich zu Mittag die erste Berghütte erreichte, wurde es schlagartig dunkel und ein heftiges Hagelgewitter schlug die Erde wie die Peitsche. Ich saß mit einem Krug Milch und selbstgemachtem Kuchen am Fenster, sah in das Chaos draußen und war sehr zufrieden mit mir, daß ich es so trefflich einrichten konnte. Das mochte ich schon als Kind. Im Warmen und Trockenen zu sitzen, wenn draußen die Welt untergeht. Wie der alte Noah und die Sintflut, einfach herrlich. Im sechshundertsten Lebensjahr Noachs, am siebzehnten Tag des zweiten Monats. An diesem Tag brachen alle Quellen der gewaltigen Urflut auf, und die Schleusen des Himmels öffneten sich. [14] Ich komme aus den Bergen, wo es nie an irgendwelchen Wetterkalamitäten fehlte, also habe ich damit Erfahrung. Als ich mir das erste Auto kaufte, setzte ich mich beim Gewitter immer hinein, ließ das Wasser über mich kommen und genoß das Rauschen. Man möge es mir verzeihen.
    Nebenbei führte ich ein Gespräch mit der Wirtin über den Untergang des Abendlandes, angeregt durch einen auf dem Tisch stehenden Aschenbecher. Früher sei alles erlaubt gewesen, was nicht direkt verboten war, heute sei umgekehrter weise alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, klagte sie. Und die Verbote würden auch immer mehr werden. Sprich, das Rauchverbot. Aber sie lasse alle Aschenbecher stehen, das sei ihr Berg, vom Kopf bis zur Sohle, mit allem drum und dran, was drauf steht, und es werde noch eine ganze Weile dauern, bis der Zeitwahn darüber hinweg schwappt. Ich wies darauf hin, man

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