Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Landschaft finden.
Harte Tage sind hart nicht nur in einer Hinsicht, alles Mögliche und Unmögliche geht da schief. Der Widersacher schleicht herum, stiftet Chaos und Verwirrung. Als ich gerade wieder Schritt faßte und mich geistig gegen die Widerwertigke i ten des Materiellen rüstete, da kam mir ein Auto entgegen. Ich ging auf der rec h ten Straßenseite und war gerade dabei, eine Einmündung zu überqueren. Da machte der Fahrer kehrt und fing an, mich auf dieser ungeschützten Stelle mit dem Wagen zu jagen. Ich mußte ums Leben rennen, was den Täter vielleicht b e lustigte, so daß er noch eine zweite Runde dazulegte. Wütend schleuderte ich ihm den Pilgerstab nach, das schwache Ding aber war nicht dazu geeignet, Schaden anzurichten. Ein massiver Stock von der Art, wie ihn Sissy in Le Puy gekauft hat, wäre da gewiß wirksamer, um ein paar Beulen im Lack zu machen, hätte mich aber auch nicht vor Überfahren gerettet. Einige Hundert Meter weiter traf ich Rachel aus Costa Rica . Sie saß neben der Landstraße vor einem Kuhga t ter im Gras, denn eine Sitzgelegenheit wie gesagt gab es hier nirgends. Ich setzte mich dazu. Wir plauderten, und zu meiner Überraschung erzählte sie, sie habe das Gefühl, daß die Galicier uns Pilger nicht besonders mögen. Da erzählte ich ihr von dem Vorfall, was ich zunächst gar nicht vorhatte, weil die einen – meist deutschsprachige Proleten - hier so erpicht darauf waren, daß alles auf dem C a mino so wunderbar ist und nicht besser sein kann, und die anderen – meist en g lische oder holländische Protestanten - das Leiden als Bereicherung, ja gar die Quintessenz der Pilgerschaft lobten. Bei beiden, und sie hatten hier die absolute Mehrheit, mußte man sich mit jeder Kritik, egal, ob berechtigt oder unberec h tigt, egal, was sie betraf, sehr in acht nehmen. Die Reaktionen konnten sehr he f tig ausfallen. Schon am nächsten Morgen dürfte ich mich davon wieder übe r zeugen, als ich mich bei einem Bekannten aus Saarbrücken über die Schwät z sucht der Spanier beschwerte. Wir saßen gerade am Frühstückstisch, und ich, von der Krankheit noch fix & fertig, litt wie ein Hund an dem nimmerendenden leeren Geschwätz der Nachbarn und meinte ironisch zu meinem Tischgenossen, würde man diese Leute für zehn Jahre in einen dunklen Keller sperren, hätten sie die ganze Zeit wohl genug zu erzählen. Der Saarbrücker hielt mitten in der B e wegung still und mit Worten: „Na so was, dafür habe ich keine Worte! So etwas möchte ich mir gar nicht anhören!“ raffte er das von mir gespendete Frühstück zusammen und zog an den Nebentisch. Und so oft wir uns noch unterwegs tr a fen, was nicht sehr oft war, grüßte er mich fortan nicht mehr. Aber Rachel war kein engstirniger Piefke aus Saarbrücken, bereiste seit Jahren die ganze Welt und meinte beiläufig, sie sei letztes Jahr auf einer Pilgerschaft zu Fuß in Indien gewesen, und die „Qualität“ der Dienstleistungen dort sei mit den spanischen durchaus vergleichbar. Mit den schwatzhaften Spaniern aber habe ich mich sp ä ter angefreundet, und wir verbrachten noch gute Zeit miteinander.
Der Weg nach Finisterre ist nicht mehr so überlaufen wie der Camino. Dies, und das viele Grün, machen ihn attraktiv. Zumindest für solche, die nach so langer Zeit nicht aufhören können zu laufen und nach dem Gedränge zuvor Einkehr s u chen. Es gibt derer nicht mehr so viele. Die meisten machen diese Reise mit dem Bus, der mehrmals täglich zwischen Santiago und Finisterre verkehrt. Es gibt deshalb nur wenige und dazu recht kleine Unterkünfte auf diesem Abschnitt. Die Herberge in Negreira, die einzige im Umkreis von zwanzig Kilometer, hat nur achtzehn Betten. Die freilich alle schon belegt waren, als ich dort ankam. Es war meine eigene Schuld. Wäre ich nicht so faul unter dem Kreuz gelegen, wäre statt dessen tüchtig marschiert, hätte ich auch ein Bett. Vielleicht. Nun aber kam ich an, und vor der Herberge stand schon eine lange Schlange anderer, die vor mir kamen und nun auf die Verwalterin und ein Wunder warteten, weil eben alle Betten längst belegt waren. Ein paar andere stellten im Garten Zelte auf. Imme r hin eine gewisse Perspektive. Aber bei Nachttemperaturen um vier Grad Celsius – hier stand der Herbst schon in voller Blüte – wäre das nichts für mich. Mit dem hohen Fieber und der dünnen Ausrüstung, die ich hatte, rechnete ich mir für diese Nacht recht schlechte Chance aus. Und heute war ich mir nicht der Hilfe des Herrn
Weitere Kostenlose Bücher