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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Restaurant ein Gyros mit Cola. Das fette Essen bekam mir aber nicht. Offenbar war ich noch nicht so weit. Danach streifte ich noch ein wenig durch die Gassen der Altstadt, derer es im großen und ganzen zwei gibt, und versuchte ein wenig von der feierlichen, aufgeregten Atmosphäre einzusaugen. Bald aber wurde ich der vielen Menschen überdrüssig und wollte mich lieber um die Unterkunft kümmern. Ursprünglich geplant war der Aufenthalt in einem Kloster. Ich habe mich darauf ziemlich gefreut, weil es ein würdiger Abschluß dieser Pilgerreise wäre. Hier wollte ich gleich mehrere Tage bleiben, mich in L i turgie vertiefen und Erlebtes reflektieren. Aber das Haus machte schon Ende August die Tore zu. Ende der Sommersaison. Mir kam diese Begründung absurd vor, aber es war nicht zu ändern. Und wer weiß, ob es tatsächlich ein richtiges Kloster war oder nur so hieß. Es war hier alles eine Gradwanderung zwischen Glauben und Kommerz. Aus einem Franziskanerkonvent machte man eine L u xusherberge. Ein anderer würdiger Ort war gewiß das Hostal de los Reyes C a tólicos , das traditionelle Pilgerhospiz seit Gedenken. Aber wie konnte man solch bedeutende Gebäude irgendwelchen armen, verschwitzten Pilgern überlassen? Nein, man machte daraus ein Luxus pur. Wie schon in León . Und eigentlich überall in Spanien. Ich sah hinein, nur so aus Neugierde und Frechheit. Innen war es noch schöner, als es mir von außen möglich schien. So etwas ist freilich nicht umsonst. Also, nichts für mich. Und eigentlich paßte ich da auch nicht hin. In meinen Lumpen und mit einem Kopf, in dem sich ein dreitausend meter großes Loch auftat. Als die frommste Variante des Santiagoaufenthaltes blieb nur das Seminario Menor de Belvis noch übrig. Auch das war freilich keine geistliche Einrichtung, obwohl es einst tatsächlich ein Priesterseminar war, sondern nur eine Massenunterkunft für Pilger.
    Ich ging zurück ins Pilgerbüro, um das Gepäck abzuholen, und war nicht wenig überrascht, schon vom weiten eine riesige Menschenschlange zu erblicken. Sie war Hunderte Meter lang und mindestens fünf Personen breit, wog hin und her, brodelte und lärmte, als ob sie tatsächlich ein Eigenleben hätte. Ganze Gruppen standen hier, teilweise uniformiert gekleidet oder zumindest mit einem ident i schen Halstuch oder anderen Erkennungszeichen versehen. Auch die polnischen Buspilger waren da, nun wohl vom Mittagessen gestärkt und rebellisch, munter murrend über die schlechte Organisation hier. Ich staunte nicht schlecht. War ich denn nun tatsächlich am Vormittag mehr oder weniger allein hier, oder habe ich es nur geträumt? Wo kamen all diese Menschen plötzlich her? Ich drängte durch die Menge und ertrug den Schimpf über jene, „die nicht wie alle anderen warten können und sich unbedingt vordrängen müssen“. Aber es waren nicht a l le so. Manche standen still und in sich gekehrt, als ob es die vielen Menschen um sie nicht gäbe. Richtige Pilger. Vom Herrn berührt. Offenbar trieb er sich hier herum und tat sein wundersames Werk.
    Am Ende erwies sich das Priesterseminar als genau richtig. Es ist riesig, umfaßt insgesamt über einundfünfzigtausend Quadratmeter, der festungsartige Hau s komplex allein etwa zwanzigtausend Quadratmeter. Es liegt auf einem lichten Hügelrücken direkt gegenüber der Altstadt, von der es durch eine tiefe, zum Park umgestaltete Schlucht getrennt wird. Noch im Jahre 1956 beherbergte es fast zwölfhundert Theologiestudenten. Wie mächtig muß einst die katholische Kirche in Spanien gewesen sein. Heute freilich ist es hier wie überall sonst. Ke i ner will mehr Priester werden. Oder zumindest nicht viele, nicht genug. In den Medien heißt es, wegen des Zölibats. Man möchte doch nur die sexuelle En t haltsamkeit abschaffen oder wenigstens die Frauen als Seelsorger zulassen, und alles werde wieder gut. Ein Schmarren. Es ist der Zeitgeist, die schrille libertine Fanfare, die eifrig von den allmächtigen, allgegenwärtigen Medien bis zu dem abgelegensten Winkel der Erde verbreitet wird: „Laßt euch nichts verbieten, lebt es frei aus. Kauft, kauft, kauft!“ Wer möchte da noch ein verklemmter Priester werden? Außer, so gaukeln uns die Medien vor, man ist eine Frau, ein Schwuler oder liebt die Knaben. Doch solche Gedanken lagen mir da fern, denn die Krankheit kehrte zu mir zurück, und mir gingen die Kräfte aus. Ich konnte mich kaum mehr an den Beinen halten, als ich an der Rezeption die Formalitäten erl e digte.

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