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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Ich schaffte es gerade bis zu dem mir zugewiesenen Schlafsaal, fiel in das erstbeste Bett und schlief trotz des lauten Geschwätzes von ein paar deutschen Frauen erst mal drei Stunden tief durch. Erst dann war ich fit genug, die Sicht aus dem Fenster des großen Aufenthaltraumes in mich aufzunehmen. Vor mir, auf dem anderen Hügel, lag die Stadt in lauwarmer Brise, eine Feste aus Ma u ern, Dächern und Türmen, getauft und gekrönt vom weichen, hellblauen Licht des galicischen Himmels. Dann versank die Sonne, der Himmel verglühte, die Sterne stiegen auf. Ein Ort wie aus einem Märchen. Morgen schon sollte ich wieder Abschied nehmen, und diese endliche Zeit am Fenster schien mir so kostbar zu fließen, wie die letzten Minuten eines ablaufenden Lebens. Dies ist die Stunde einer eigentlichen Ankunft in Compostela, einer Einkehr, die sich aus Träumen zusammenwebt. Santiago bleibt immer eine Begegnung mit Träumen, eine geträumte Begegnung. Man hat die Stadt lange zuvor in sich geahnt oder erfahren und findet nun die Vision erfüllt. [82] Und ich dachte an eine gleich e r staunliche Sicht aus dem Fenster meiner Unterkunft hoch über Le Puy . Das lag schon Monate zurück. Monate, die damals noch leer vor mir und nun ausgefühlt hinter mir standen. Und Menschen. Elisabeth, Joanna, die alte Frau aus der Schweiz mit ihrer siebenjährigen Nichte, François aus Kanada und all die a n dren, die mit mir gingen und in mein Herz eingingen. Vor allem Elisabeth, Sissi, mon cher ami de saint Jacques . Sie hätte ich heute gerne an meiner Seite gehabt, mit ihr wäre der harte Weg durch Spanien, Camino durro , gewiß nicht so hart und bitter, wie ich ihn ertragen mußte. Da ich sie aber stets im Herzen trug, war sie auch jetzt bei mir. Alle waren sie mit dabei, so echt und lebendig, daß ich sie fast hätte greifen können. Meine Ankunft in Santiago war eine solche, die ich mir gewünscht hätte, hätte ich mir sie wünschen können, und wäre ich auf den Gedanken gekommen, mir eine zu wünschen. Sanft und still, demütig herb.
    Kostbare Zeit, die aber zu Ende ging, als ein fetter deutscher Landstreicher den Fernseher entdeckte und uns allen im Refektorium den Fußball bescherte. I n zwischen hat sich nämlich die zunächst noch leere Herberge mit Gästen gefüllt, die freilich auch ihr Eigenleben entfalteten. Es passen hundertsiebzig hinein, und das ist wirklich eine ganze Menge. Die meisten waren wohl noch in der Stadt unterwegs, die hier anwesenden aber still und in sich gekehrt und störten kaum. Bis auf diesen vorlauten Menschen, der bei der Ankunft in der Apostelstadt den Fußball am interessantesten fand. Nun saß er zufrieden da, hielt seinen Bierra n zen in den Lappen und erzählte jedem, der es hören wollte, er trinke auf dem Camino nur Wasser und gehe morgen wieder zu Fuß nach Deutschland zurück. Es klang nicht allzu glaubwürdig, und der Raum leerte sich schnell. Auch ich ging.
    Ich hatte keine gute Nacht, sie hätte aber auch schlechter sein können. Mehrmals wachte ich auf und irrte durch die großen Räume zur Toilette. Alle schliefen r u hig und glückselig den Schlaf der Gerechten. Ich gönnte ihnen den unbeschwe r ten Schlaf, auch wenn ich selbst nicht so glücklich war. Meine Krankheit war wieder da. Sie trat ja nur für den einen, den so wichtigen Tag zurück. Ich verstand es und war nicht enttäuscht. An diesem Tag konnte ich einfach nicht krank sein. Wofür wäre der Herr denn so lange mitgegangen? Damit am Ende alles einfach so verpufft, sich in der Luft auflöst? Vielleicht hatte ich auch den Organismus so im Griff, daß ich für einen Tag die Krankheit aufhalten konnte. Eine Art psychosomatische Krücke. So etwas ist durchaus denkbar und meh r fach belegt. Wie auch immer, das Ergebnis war gleich. Ich habe meinen großen Tag der Ankunft in Santiago gehabt. Wenn ich jetzt den Preis dafür zahlen sol l te, war es das wert. Es machte mir nichts aus.
Negreira, km 2977
    Mein Gelübde war hier erfüllt, der Pilgerweg aber noch nicht zu Ende. Als Kultpfad war er viel älter als die Christenheit. Nur, daß nicht Santiago de Co m postela, sondern Cap Finisterre das Pilgerziel war. Das Apostelgrab wurde erst im Jahre 812 entdeckt. Der Name Compostela geht am ehesten auf das latein i sche Compositum , Begräbnisplatz, zurück und weist auf eine zu dieser Zeit längst existente Kultstätte hin. Heilige Orte entfalten ihre Wirkung durch Zeit und Raum hindurch, wobei die jeweiligen Zeitgenossen dann ihre eigene L e gende

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