Bis ans Ende der Welt (German Edition)
dazu basteln. Man möchte nur eine der noch erhaltenen keltischen oder anderen vorchristlichen Kultstätten aufsuchen und dort auch nur eine einzige Stunde allein verbringen. Also dachte ich, wie viele andere vor mir schon, den eigentlichen Pilgerweg bis zu dem einzigartigen Felsen von Finisterre zu verlä n gern, um den ganzen verfügbaren mystischen Grund auszuloten. Was freilich weitere etwa hundert Kilometer zu gehen bedeutete.
Hierzu mußte ich erst wieder zur Kathedrale. Wenn man von diesem universe l len Punkt durch die richtige Gasse nach Westen bergab geht, stößt man nach e i ner Weile auf den ersten Wegweiser nach Finisterre. Ihn gleich auf dem Platz vor der Kathedrale anzubringen, wäre wohl etwas ketzerisch. Das mußte sogar ich zugeben. Immerhin gibt es die Wegweiser, sogar mit dem selben Sternze i chen wie der Camino versehen. Für mich hieß es, noch einmal in die Stadt ei n zuziehen. Und ich war sehr gespannt, ob die Wirkung etwa dieselbe sein würde. War sie nicht. Es fehlte jede Feierlichkeit, es fehlte die Ruhe und die Einkehr. Die Straßen waren mit hastenden Berufsmenschen gefüllt, Autos hupten, Mot o ren heulten, Preßlufthämmer schlugen. Dazwischen sah ich ein bürgerliches Ehepaar im feinsten Rock, allen und allem im Weg, bummeln gehen. Reiche englische Touristen. Die kostbare Stimmung des Vortags fehlte. Wo ist sie denn hin, müßte sie nicht immer da sein, wie ein Gefäß, aus dem man jederzeit schö p fen kann? Dabei fing der Tag gut an. Als ich nach sieben Uhr beim Frühstück aus dem Fenster des Refektoriums sah, stand auf blauem Hintergrund ein ri e senhafter gelber Mond über der Stadt, als ob er drauf fallen wollte. Ein letzter Stern folgte ihm im Abstand. Das hielt ich für ein gutes Zeichen, weil jede Schönheit vom Herrn kommt.
Ein Abschiedsgebet in der Kathedrale hielt mich nicht lange auf. Der silberne Apostel saß kalt, starr und teilnahmslos auf seinem silbernen Thron. Überall fehlte was vom Vortag. Und ich war nicht mehr so konzentriert, war schon mit einem Bein auf dem Weg. So fand ich erst richtig zu mir, als ich endlich die Treppe vor Hostal de los Reyes Católicos in westlicher Richtung hinabstieg. Ich war wieder auf dem Pilgerpfad. Da liegt e i ne gewisse Sehnsucht darin, und ich fühlte den Raum vor mir, wie ich den b e reits durchschrittenen Raum hinter mir fühlte. Ein gewaltiger Bogen. Ich war frei wie eine Seeschwalbe im Wind über der Klippe schwebend. Aber diese Kraft hielt nicht lange vor. Schon bald spürte ich, wie eine bleierne Schwäche durch die Glieder aufsteigt und sich überall breitmacht. Das Fieber kam zurück. Ich glühte. Bereits um elf Uhr wollte ich e i ne Mittagspause abhalten, in der Hoffnung, mich in einer Stunde wieder auf den Weg machen zu können. Nur etwas ausruhen, dann müßte es wieder gehen. Eine alte Kirche, ein steinernes Kreuz dahinter, ein kleiner Park an der Friedhof s mauer – der Platz war gar zu verführerisch. Vielleicht ein wenig zu gepflegt, zu zivilisiert für einen abgerissenen, kranken Pilger. Ich wollte mich auch demen t sprechend würdig bene h men, zumal immer wieder Leute kamen, bald Pilger, bald Kirchenbesucher. Aber es dauerte nicht lange, und ich lag flach und halb bewußtlos auf der Bank. Essen konnte ich nichts, obwohl ich welches hatte. Das einzige, was ich noch ertrug, war Coca Cola. Eine Flasche zog ich zuvor aus dem Automaten direkt am Weg. Spanien war ja mit Automaten aller Art gerad e zu übersät. Ich wachte Stunden später auf, vermutlich deshalb, weil es anfing zu regnen. Dennoch war ich eine ganze Weile nicht fähig mich aufzurichten und sah teilnahmslos zu, als andere Pilger frisch und munter vorbeizogen. Meist s a hen sie strafend zu mir hinauf, und ein-, zweimal vernahm ich etwas über Leute, die nicht wüßten, wie man sich zu benehmen hat. Sprache: Deutsch. Mein Herz raste, zeitweilig sah ich doppelt oder verschwommen, der Kopf drohte zu pla t zen. Irgendwie stand es nicht gut um mich, und ich überlegte, jemanden vie l leicht um Hilfe zu bitten. Dann aber schien mir, daß dieser Platz zum Sterben gerade richtig war. Eines toten Pilgers ebenwürdig. Dennoch hatte ich dann doch keine Geduld, um hier auf den Tod zu warten. Zumal der bis dahin kaum fühlbare Regen etwas dichter wurde. Ich rappelte mich endlich hoch und abso l vierte den Rest der Tagesetappe mit etwas mehr Würde. Sie war ja mit vierun d zwanzig Kilometer relativ kurz. Ich konnte sogar Gefallen an der grünen galic i schen
Weitere Kostenlose Bücher