Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Boot auch sehr gut faulenzen läßt. Dieses Jahr allerdings sollte die Star n berger Saison nur eine einzige kurze Stunde dauern. Solange nämlich saß ich auf der Uferbank, sah auf die Boote, wie sie bei gutem Wind leichtfüßig über das Wasser gleiten, prüfte ihre Segelstellung und Wendemanöver. Gerne wäre ich da draußen gewesen. Einen ganzen Sommer das Boot im Trockendeck stehen zu lassen, war aus meiner subjektiven Sicht vielleicht das größte Opfer dieser Pi l gerschaft. Im Geiste streckte ich mich bequem in der Koje aus, atmete den Duft der alten Teakbretter ein und ließ mich sanft von den Wellen schaukeln. Ich hä t te jetzt aufstehen mögen, den Zug besteigen und den ganzen Pilgernspuck ein und allemal hinter mir lassen. Wenn ich nur könnte. Oder auch umgekehrt, ich könnte das Boot verkaufen, um mich von einer nicht unwesentlichen Zeit- und Arbeitspflicht sowie etlichen Kosten frei zu machen. Schließlich braucht man nicht unbedingt ein Boot, um glücklich zu leben, oder? Mein inneres Auge schaute dabei durch das Bullauge auf die Alpengipfel und das weißblaue Hi m melszelt darüber. Davor zog majestätisch ein Segel vorbei. Und ich spürte die vollkommene Ruhe, den Seelenfrieden, das Glück, wie immer, wenn ich hier war. Hier hörten für mich die Sorgen auf, wie auch immer sie mich sonst zwi c ken mochten.
Aber das Boot lag auf dem Trockenen, und ich wurde ein Jakobspilger. Als so l cher hat man nur wenige Bedürfnisse und entsprechend wenig Sorgen. Man muß lediglich die geplante Strecke laufen, essen, schlafen und auf Hygiene und G e sundheit achten. Im wesentlichen war man als Pilger so nicht viel schlechter g e stellt. Ich jedenfalls fühlte mich großartig. Bis auf die Wanderschuhe. Sie kü n digten den Dienst auf. Zu Hause machten sie noch einen guten Eindruck, ve r sprachen Treue und Ausdauer. Wohl war die Profilsohle schon etwas abgenutzt, aber die Laufleistung in Kilometern war noch nicht zu hoch. Es waren gute und nicht ganz billige Qualitätsstiefel. Nun lösten sich die Absätze rasch auf. Die Asphaltwege setzten ihnen arg zu. Und Asphalt gab es reichlich. Die Bauern brauchen es, die Radfahrer ebenso. Auch scheinen sie die Unterstützung der Landratsämter und anderer Behörden zu haben. Bald schon wird auch der letzte Wald- und Wiesenpfad zweispurig ausgebaut und zubetoniert, damit die tonne n schweren, klimatisierten Monsterschlepper, mit denen sich heute die Landwirte gegenseitig zu übertrumpfen trachten, nicht im Morast versinken. Auch der Ra d ler mag da sanft dahingleiten und, ohne auf Löcher und Steine zu schauen, se i ner Lieblingsmusik aus dem Kopfhörer lauschen. Das heißt, nur wenn er es nicht vorzieht, den Mitfahrern nachzuschreien.
Es stand jedenfalls fest, daß mich dieser Schuh nicht bis nach Santiago tragen wird. Ich war geknickt, aber nicht gebrochen, wußte noch nicht, wie sehr ich es schon bald bedauern sollte. Und doch nagte es an mir – langsam, unsichtbar und dennoch wirksam. Bis ich nach Andechs kam, das ich als passendes Tagesziel ansah, ließ ich auch noch den Wanderstab an einem Zaun stehen. In der bereits erwähnten Hoffnung, ihn am Ende in der galicischen Erde zu einer mächtigen deutschen Eiche aufgehen zu lassen, schloß ich ihn bereits ins Herz. Und nun war er weg, viel zu weit, um noch umzukehren. „Kein Schuh, kein Wanderstab, ein schöner Pilger bist du,“ machte ich mir den Tag mies, obwohl Bayerns He i liger Berg fast schon in Sichtweite lag. Die Hügel hoben sich im milden Licht der Nachmittagssonne, es roch süß nach Heu, die Vögel sangen, und ich ja m merte um wertlosen Plunder. Wie im richtigen Leben.
Ich nehme an, daß der Herr es nicht mehr sehen konnte und deshalb sein Erba r men walten ließ. Jedenfalls saßen plötzlich zwei Radfahrer am Weg, die übe r haupt nichts dagegen hatten, einige Kilometer zurückzufahren, um einen echt merkwürdigen Holzstecken seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. „Oh, wir fahren gerne Fahrrad,“ war die bescheidene Antwort auf meine Frage nach einem Dienst, der mir selbst nicht ganz geheuer vorkam. Kein Wort der Ve r wunderung, kein Zweifel am Wert dieses Gegenstandes. Wen ich der Sache e i nen Namen geben soll, so fällt mir kein anderes Wort als „liebenswürdige Ac h tung“ ein. Ich fragte mich ernsthaft, ob der Herr mir da nicht auf den Zahn fü h len wollte. Meine bösen Gedanken über die Radfahrer waren ihm schließlich bekannt. Das junge Paar verabschiedete sich herzlich mit dem
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