Bis ans Ende der Welt (German Edition)
große Bieraugen machten und wie toll den fre i laufenden Eingeborenen zujubelten. Diese aber ließen sich nicht lumpen und zahlten vom Ufer aus wild hüpfend und gestikulierend mit gleicher Münze z u rück. In der Pause saß ich eine Weile auf einer Kiesbank, kaute an der mitg e brachten Käsesemmel und hatte Zeit festzustellen, daß die Touristen überwi e gend männlich, die Eingeborenen wiederum weiblich waren. Was einiges erklä r te. Die Flößer bliesen vor jeder Flußbiegung diverses romantisches Folklore, und alle waren absolut glücklich. Auch ich spürte, daß es ein Privileg war, jetzt und da zu sein und noch fast die ganzen vier Monate der Pilgerschaft vor mir zu haben. Ich spürte die Kraft in mir wachsen. Es war schon etwas Besonderes, und ich bereute keinen Augenblick meinen Entschluß.
Alles schien sich zum Guten wenden. Bald fand ich herzliche Aufnahme im Kloster Schäftlarn, freilich nicht ohne die herzliche Fürsprache Pater Gunthers. Leider sind die Zeiten fast vorüber, als die Klöster noch freigiebig für Pilger sorgten. Vielleicht ist der akute Mitgliedsschwund schuld daran. Ich aber durfte ins Haus hinein, auch wenn der Pförtner anfangs skeptisch war. Es war pra k tisch, das heftige Gewitter, das inzwischen aufzog, vom Zimmerfenster aus zu beobachten. Ein wohliger Schauer umweht einen dabei. Man sieht das Chaos, die Gefahren draußen und darf sich unter dem Dach sicher fühlen. Und doch stand an, daß dem nicht immer so sein wird, daß auf die guten Tage auch schlechte folgen werden.
Andechs, km 182
Der Abschied vom Schäftlarn am nächsten Morgen fiel mir schwer. So herzlich war die Aufnahme. Wer von den Brüdern konnte, verabschiedete sich persö n lich, der Prior nahm sich beim Frühstück Zeit für ein Gespräch und spendete seinen Segen: „Es kommt vom Herzen! Und kommen Sie gesund zurück!“
Daran dachte ich bis dahin noch nicht. Daß man auch wieder zurück muß. Daß auch die Rückkehr ein Teil der Reise ist. Daß auch dazu Segen und Glück geh ö ren. So sehr hat mich der Weg hin beschäftigt, daß ich das Zurück gar nicht b e dachte. Alle meine Pläne und Verrichtungen endeten im Herbst. Das verfügbare Geld vermutlich auch. Vielleicht rechnete ich gar nicht so fest damit, nach vier Monaten zurück zu sein und das alte Leben wieder aufzunehmen. Alles war vo r stellbar, sogar die Nichtrückkehr. Früher machte man gleich sein Testament. Das war bei mir wohl überflüssig. Wenigstens mußte ich nicht wieder zu Fuß zurück wie im Mittelalter. Sollte das Geld nicht reichen, konnte ich immer noch per Anhalter reisen oder sonst was. Wirf deine Sorge auf den Herrn, er hält dich aufrecht! Er läßt den Gerechten niemals wanken. [3] Es steht da viel in der Bibel, worüber wir meist lieber nicht nachdenken, weil es irgendwie „weltfremd“ klingt bzw. unserer Alltagserfahrung widerspricht. Statt die Sorge einfach dem Herrn aufzuladen, will man auf eigene Kraft und Begabung zählen. Da ist man später keinem was schuldig. Wie auch immer das Resultat lauten mag: Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst. [4] Ich prüfte mein Herz und beschloß, mir keine Sorgen zu machen. Noch nicht.
Ein Grund für den schweren Abschied wäre gewissermaßen auch der Treppe n steig, angeblich ein Kilometer lang, der gleich hinter dem Haus steil angeht. Das Kloster liegt einsam und ruhig auf dem Grund einer enormen Schlucht. Doch oben in Pullach hat die hektische Welt wieder das Sagen. Autos, Jogger, Ra d fahrer. „Stell dir vor,“ kreischte es hinter mir aus voller Lunge, „mein Sohn war erst blond, dann wasserblond und jetzt, Gott behüte, komplett rotstichig.“ Als ich mich umdrehte und eine giftgrüne Gummihose sah, in der sich ein Fraueng e schlecht unvorteilhaft deutlich abzeichnete, wurde auch ich rotstichig. Ich ließ die stockschwingenden Damen gerne vorbei, indem ich vorgab, die Schuhe zu schnüren. Bis nach Andechs reicht der Ausflugsradius der Großstadtameisen. Rein in die S-Bahn, und schon ist man in Starnberg. Wofür ich zu Fuß ander t halb Tage benötigte. Davon ließ ich mich freilich nicht verdrießen. Bald lag das Tal der Isar hinter mir, und ich schritt munter durch die bewaldete Ebene auf den Starnberger See zu.
Hier verbrachte ich mit Segeln meine Freizeit. Nach dem Unfall suchte ich eine Sportart, bei der man nicht viel laufen muß, und fand bald heraus, daß sich auf dem
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