Bis das Blut gefriert
dafür keinen anderen Ausdruck. Nur Gespenster konnten sich so lautlos bewegen wie sie. Oder auch Geister. Aber Geister sahen wohl anders aus und waren heller.
Um die beiden Zuschauer kümmerten sich die Ankömmlinge nicht, obwohl sie nicht zu weit vom Brunnen entfernt standen. Ihr Ziel war der Brunnen. Als die erste Gestalt ihn erreicht hatte, legte sie ihre Hände auf den Rand.
Bei der Berührung erklang ein leises Zischen. Für einen Moment stieg heller Rauch wie der kalte Atem in die Höhe, aber mehr geschah nicht. Im Licht der Sterne wirkte alles noch unheimlicher, als es tatsächlich war. Die alten Mauern warfen Schatten, und aus ihnen hervor wuchsen die Gespenster.
Es war nichts zu hören, was sie etwas menschlicher gemacht hätte. Weder das Geräusch der Schritte noch das Rascheln des Stoffs oder eine flüsternde Stimme.
Ruhig und wie ferngelenkt näherten sich die Gestalten dem Brunnen. Für sie war er ein wichtiges Ziel. Als alle den Rand erreicht hatten, streckten sie zuerst ihre Hände vor, um sie einen Moment später nach unten zu drücken.
Flavio wusste nicht, ob er Hände sah, Knochenklauen oder überhaupt nichts. Es musste jedoch etwas vorhanden sein, sonst hätte er nicht das Plätschern gehört, das entstand, als die Gestalten die Hände in die Flüssigkeit getaucht hatten.
Normale Menschen wären an einen Brunnen gegangen, um sich die Hände in seinem Wasser zu waschen. Taten diese Gestalten das auch? Reinigten sie Hände mit Blut?
Er erhielt keine Antwort. Dafür änderte sich die steife Haltung der unheimlichen Besucher. Sie drückten wie auf Befehl hin gemeinsam die Oberkörper nach vorn, sodass ihre Gesichter beinahe die Oberfläche berührten. So hielten sie inne.
Dann bewegten sie wieder die Arme. Wie ein normaler Mensch sich Wasser in sein Gesicht schaufelt, um sich zu reinigen, wuschen sich diese Gestalten mit dem Blut.
Es war unglaublich. Flavio merkte, dass er unwillkürlich den Kopf schüttelte. Er sah auch keine Gesichter in den Ausschnitten der Kapuzen. Nur eine dichte Schwärze, in die die Gestalten das Blut hineinschleuderten.
Sie wuschen sich. Sie schluckten das Blut. Sie taten Dinge, die völlig unverständlich waren.
Es gab keine normale Erklärung für dieses Phänomen. Und Flavio wollte sie auch nicht. Er freute sich nur darüber, noch am Leben zu sein und dass er sich bewegen konnte, und so drehte er sich zu seiner Freundin hin um.
Sie war ebenso geschockt wie er und zitterte. Das Zittern hörte auch nicht auf, als Flavio sie anfasste und sie zu sich heranzog. Sie schaute ihm ins Gesicht und blickte trotzdem ins Leere.
Obwohl der Roller in seiner unmittelbaren Nähe stand, traute Flavio sich nicht, den Motor anzulassen. Er fürchtete sich davor, die Gestalten bei ihrem Tun zu stören und sie erst recht auf sich aufmerksam zu machen. Deshalb schob er den Roller zunächst vor. Das nur mit einer Hand. In der Not gelang eben viel. Mit der anderen zog er seine Freundin nach.
So kamen sie weg, und sie drehten sich auch nicht um. Es war mehr ein Eiertanz für sie als ein normales Gehen. Bei jedem Schritt fürchteten sie sich davor, dass es sich die fremden Gestalten anders überlegen konnten und die Jagd auf sie begann. Zu ihrer Überraschung passierte das nicht. Sie konnten sich vom Zentrum des Grauens fortbewegen, ohne angehalten zu werden.
Auch der Roller schwankte auf der planierten Fläche nicht, und als die beiden den Rand der Straße erreichten, da hatten sie zum ersten Mal das Gefühl, einem schrecklichen Albtraum entwischt zu sein. Beide atmeten frei durch, und Rosanna schaute nicht mehr so starr, denn die Dunkelheit hatte ihr gnädiges Tuch über die Umgebung gelegt. Die Gestalten jedenfalls waren nicht mehr zu sehen.
»Steig auf!«
»Was?«
»Du musst aufsteigen!«, drängte der junge Mann seine Freundin. »Wir müssen so schnell wie möglich von hier verschwinden. Bitte, Rosanna!«
»Ja, ja«, murmelte sie wie geistesabwesend. Sie tat, als sähe sie den Roller zum ersten Mal.
Sie stieg endlich auf und umklammerte Flavio, der den Motor anstellte. Als er das Geräusch hörte, da rollten kleine Felsbrocken der Erleichterung von seiner Seele. Er hätte jubeln und schreien können. Nun stand für ihn fest, dass sie es geschafft hatten, dem Grauen zu entkommen.
Flavio fuhr so scharf an, dass Rosanna trotz des Festhaltens beinahe vom Rücksitz gefallen wäre. Nur durch rasches Nachgreifen gelang es ihr, sich zu halten.
Der Staub begleitete sie als Wolke, als
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