Bis dein Zorn sich legt
sie.
Sivving gab keine Antwort. Er aß Kloßscheiben und trank Milch, als ob er nichts gehört hätte, immer noch schlechter Laune.
»Das war eine sexuelle Belästigung«, sagte sie, ohne sich an seiner ausbleibenden Reaktion zu stören. »Der Angeklagte hatte zwei Sachbearbeiterinnen beim Arbeitsamt angerufen und beim Telefonieren onaniert. Die eine Dame war fünfzig und die andere über sechzig, und sie hatten schreckliche Angst vor einer Begegnung mit dem Beschuldigten. Sie dachten, wenn er erst wüsste, wie sie aussähen, würde er sich auf sie stürzen und sie vergewaltigen, auch wenn sie sich nur zufällig im Supermarkt begegneten. Also habe ich beantragt, die Damen unter Ausschluss des Angeklagten zu vernehmen.«
»Was bedeutet das denn?«, fragte Sivving, sauer, weil er fragen musste, aber zu neugierig, um es nicht zu tun.
»Er musste im Nebenzimmer sitzen und sich ihre Aussagen anhören, ohne sie zu sehen. Du liebe Güte, was fanden die armen Tanten es schrecklich, erzählen zu müssen, was da passiert war. Ich musste sie bei der Vernehmung ziemlich unter Druck setzen, um klarzustellen, dass etwas Sexuelles passiert war. Unter anderem habe ich sie gefragt, wieso sie glaubten, dass er onaniert hatte.«
Rebecka unterbrach ihren Bericht und schob sich ein großes Stück Kloß in den Mund. Sie kaute in aller Ruhe. Sivving hatte mit Essen aufgehört und wollte wissen, wie es weiterging.
»Ja und?«, fragte er ungeduldig.
»Sie sagten, sie hätten ein rhythmisch reibendes Geräusch gehört, und er habe zugleich laut gekeucht. Eine der Damen behauptete, es sei ihm gekommen, und da musste ich ja fragen, wieso sie das glaubte. Sie antwortete, er habe immer schwerer geatmet und die rhythmisch reibenden Geräusche seien immer heftiger geworden, und zugleich habe er laut gestöhnt und gesagt: ›Jetzt ist es abgegangen.‹ Die armen Tanten. Und dann saß da Hasse Sternlund von der Lokalzeitung und machte Notizen, dass der Kugelschreiber nur so glühte. Das machte die Sache ja auch nicht leichter.«
Sivving gab es auf, schlechter Laune zu sein, und ließ ein belustigtes Knurren hören.
»Der Angeklagte war ein schmieriger, schwabbeliger Typ von Mitte dreißig«, sagte Rebecka jetzt. »Schon mehrmals wegen sexueller Belästigung vorbestraft. Aber er stritt alles energisch ab und behauptete, er leide an Asthma und die Damen vom Arbeitsamt hätten einen Asthmaanfall gehört und keine Onaniergeräusche. Und da bittet der Verteidiger seinen Mandanten, vorzuführen, wie ein Asthmaanfall sich bei ihm anhört. Da hättest du mal Richter und Geschworene sehen sollen. Denen zuckten die Gesichter so richtig. Der Richter täuschte einen Hustenanfall vor. Sie hätten sich fast totgelacht, so absurd war das alles. Gott sei Dank weigerte sich der Typ. Der Verteidiger hat mir nach der Verhandlung erzählt, er habe seinen Mandanten nur gebeten, den Asthmaanfall zu simulieren, um zu sehen, ob er mich aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Ich sei bei den Vernehmungen der Geschädigten und des Angeklagten immer so kühl und sachlich geblieben. Wenn der Anwalt mich jetzt dienstlich anruft, fragt er immer mit hechelnder Stimme: Bin ich da richtig beim Arbeitsamt?«
»Ist er denn verknackt worden, der Schmierige?«, fragte Sivving und ließ in voller Absicht einige Speckstücke auf den Boden fallen, die Bella sofort verschlang.
Rebecka lachte.
»Natürlich. Pu. Was ist das nur für ein Beruf. Diese armen Damen von Arbeitsamt, versuch doch mal, nachzuahmen, wie es sich anhört, wenn jemand wichst.«
»Nö, du, dann sollen sie mich lieber ins Gefängnis stecken.«
Sivving lachte. Rebecka freute sich. Zugleich dachte sie an die ältere der beiden Sachbearbeiterinnen. Sie hatte Rebecka aus schmalen Augenschlitzen angesehen. Sie hatten vor der Verhandlung im Zimmer der Staatsanwältin gesessen. Ihre Stimme war rau und schrill gewesen, geprägt von Rauchen und Alkohol. Lippenstift hatte sich in die Runzeln über der Oberlippe verlagert. Eine dicke Schicht Puder über den groben Poren, die leblose Farbe. »Dann kommt auch noch das hier, das hatte ja gerade noch gefehlt«, hatte sie gesagt und den Mund zusammengekniffen. Und sie hatte Rebecka erzählt, dass sie am Arbeitsplatz gemobbt werde. Dass eine Kollegin einen Strömlingsabend veranstaltet und sie nicht eingeladen habe. »Die ganze Zeit dieses Geflüster und Getuschel hinter meinem Rücken, das Strömlingsfest vom vorigen Jahr, da war man ein wenig angeheitert und ist auf der
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