Bis dein Zorn sich legt
Suche schon abgeblasen hatten. Alle hielten ihn doch für tot. Da kam der Wicht auf den Hof gestapft. Das hat in ganz Schweden für Aufsehen gesorgt. Tore wurde vom Radio interviewt, und die Zeitungen haben darüber geschrieben. Ein verdammtes Wunder, dass er überlebt hatte. Na also, dieser Hjalmar, der ist kalt wie ein Fisch. War er schon immer. Schon, als sie noch auf die Volksschule gingen, haben sie Schulden übernommen, echte und eingebildete, und das Geld eingetrieben. Einer von meinen Vettern, Einar, den hast du nie kennengelernt, der ist ja früh von hier weggezogen, und er ist auch schon viele Jahre tot. Hatte einen Herzinfarkt. Jedenfalls. Der ist mit den Krekula-Brüdern zur Schule gegangen. Und er und seine Kumpels. Die haben bezahlt. Sonst kriegte man es mit Hjalmar zu tun. – Nein«, sagt er und kratzt das Wasabi vom Reis. »Früher war nun wirklich nicht alles besser.«
Freitag, 24. April
UM VIERTEL NACH elf Uhr abends am 24. April rief der Gerichtsmediziner Lars Pohjanen bei Anna-Maria Mella an.
»Hast du Zeit?«, fragte er.
»Sicher«, sagte Anna-Maria. »Marcus hat eine DVD ausgeliehen, und der Film ist offenbar auf irgendeine Weise tiefschürfend. Aber Robert ist schon längst eingeschlafen. Er ist vor einer Weile aufgewacht und hat gefragt: ›Reden die noch immer? Haben sie schon die Welt gerettet?‹ Dann ist er wieder eingeschlafen.«
»Wer ist das?«, rief Robert hellwach. »Ich bin wach.«
»Pohjanen.«
»Das ist so ein Film, wo sie die ganze Zeit auf einer Scheißparkbank sitzen und reden«, brüllte Robert, um auch ja von Pohjanen gehört zu werden. »Es ist Freitagabend! Da wünscht man sich doch nur ein bisschen Verfolgungsjagden, ein bisschen Mord, ein bisschen Sex.«
Pohjanen ließ am anderen Ende der Leitung ein röchelndes Lachen hören.
»Du musst entschuldigen«, sagte Anna-Maria. »Ich war betrunken, und dann hat er mich geschwängert.«
»Sie sitzen auf keiner Parkbank, könnt ihr wohl mal still sein«, beschwerte sich Marcus, Anna-Marias ältester Sohn.
»Was seht ihr euch da eigentlich an?«, fragte Pohjanen.
»›Das Leben der Anderen‹. Ein deutscher Film.«
»Den hab ich gesehen«, sagte Pohjanen. »Der war gut. Ich habe geweint.«
»Pohjanen sagt, dass er geweint hat, als er den Film gesehen hat«, sagte Anna-Maria zu Robert.
»Ich weine auch«, rief Robert.
»Ja, da hast du’s«, sagte Anna-Maria zu Pohjanen. »Zuletzt hat er 1980 geweint, als Wassberg bei den Olympischen Spielen Juha Mieto geschlagen hat. Kannst du jetzt mal die Klappe halten, damit ich hören kann, was Pohjanen will?«
»Eine Hundertstelsekunde«, sagte Robert, gerührt von dieser Ski-Erinnerung. »Fünfzehn Kilometer, und er hat mit fünf Zentimetern Vorsprung gewonnen.«
»Können mal alle den Mund halten, damit man den Film sehen kann?«, grummelte Marcus.
»Wilma Persson«, sagte Pohjanen, »ich habe eine Wasserprobe aus ihrer Lunge genommen.«
»Ja?«
»Und mit dem Wasser aus dem Fluss verglichen.«
Anna-Maria fing einen Blick ihres Sohnes auf, stand vom Sofa auf und ging in die Küche.
»Bist du noch da?«, fragte Pohjanen angesäuert. Dann räusperte er sich.
»Ja, ich bin noch da«, sagte Anna-Maria, setzte sich in die Küche und versuchte, nicht auf sein verschleimtes Röcheln zu achten.
»Ich … hrr, hrrr … ich habe die Proben ins Rudbecklabor in Uppsala geschickt. Habe Marie Allen gebeten, sich ein wenig zu beeilen. Sie … hrrr … haben die Wasserproben analysiert. Hochinteressant.«
»Warum das?«
»Tja, sie sind ja an vorderster Front, was die Technik angeht. Man bestimmt die Erbmasse in dem lebendigen Material, das sich im Wasser befindet. Bakterien, Algen … du weißt, alles besteht aus vier Bausteinen. Wir auch. Die menschliche DNA hat drei Millionen von diesen Bausteinen in einer ganz besonderen Reihenfolge.«
Anna-Maria Mella schaute auf die Uhr. Erst ein tiefschürfender deutscher Film, dann DNA -Technik mit Lars Pohjanen.
»Jedenfalls interessiert dich das ja wohl kaum«, knarzte Pohjanen. »Aber ich kann mitteilen, dass das Wasser in Wilma Perssons Lunge eine ganz andere Algen- und Mikroorganismusflora aufweist als das des Flusses, wo sie gefunden wurde.«
Anna-Maria stand auf.
»Sie ist nicht im Fluss gestorben«, sagte sie.
»Sie ist nicht im Fluss gestorben«, sagte Pohjanen.
Samstag, 25. April
SVEN-ERIK STÅLNACKE wurde am Samstagmorgen von seinem Telefon geweckt.
Er meldete sich und spürte sofort, wie die Morgenmüdigkeit wie eine
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