Bis dein Zorn sich legt
wieder zu Hause, aber ich habe ihn nicht einmal zum Briefkasten gehen und die Zeitung holen gesehen.«
»Das tut mir leid«, sagte Anna-Maria Mella. »Aber ich verstehe nicht, was Sie zu sagen versuchen.«
Johannes Svarvare bohrte mit einem schmutzigen Nagel in einer Kerbe in der Tischplatte herum. Dann schaute er auf die Wanduhr. Die war um sieben Uhr stehen geblieben. Eigentlich war es fünf nach zwölf.
»Nein«, sagte er dann energisch. »Ich muss mich ein wenig ausruhen. Alter Mann. Sie wissen schon.«
Er erhob sich, zog die Prothese aus dem Mund und ließ sie in das Wasserglas neben dem Spülstein fallen. Dann legte er sich mit über der Brust verschränkten Armen auf das Sofa und schloss die Augen.
»Öh, ähem«, sagte Anna-Maria und kam sich töricht vor. »Könnten Sie nicht versuchen, mir zu erklären, was Sie gemeint haben?«
Vom Sofa her kam keine Antwort. Das Gespräch war beendet. Sein Brustkorb hob und senkte sich in raschen Stößen.
»Verdammt«, sagte Anna-Maria, als sie sich ins Auto setzte.
Sie hätte ihn reden lassen müssen, das war ihr klar. Er war kurz davor gewesen, etwas zu erzählen. Sven-Erik hätte stumm abgewartet. Hätte es einfach kommen lassen. Dieser verdammte Sven-Erik. Und was sollte das mit Isak Krekula, der kurz vor dem Verschwinden der beiden einen Herzinfarkt gehabt hatte? Was sollte das bedeuten?
»Dann werden wir wohl mit Isak Krekula reden müssen«, sagte sie laut zu sich selbst und drehte den Zündschlüssel um.
Die Häuser der Krekulas lagen weit hinten am Ortsrand. Anna-Maria Mella stieg aus dem Auto und wartete. Hier wohnten also die Brüder Tore und Hjalmar und ihre Eltern. Sie versuchte, zu erraten, welches der drei Häuser zu wem gehörte. Alle waren mit rot angestrichenen Brettern verkleidet. Ein Haus war älter als die anderen und hatte einen Scheunenanbau mit zusammengeflicktem Blechdach. Gehäkelte Gardinen hinter den Fenstern. Hier wohnten sicher die Eltern.
Sie zögerte. Ein Gefühl tiefen Unbehagens stieg in ihr auf. In einem Hundezwinger auf dem Grundstück warf sich ein Jagdhund gegen das Gitter und bellte wie besessen. Bleckte die Reißzähne. Biss in den Maschendraht. Schnappte mit den Kiefern in der Luft. Bellte und bellte. Unermüdlich und aggressiv.
Am Grundstücksrand standen die Fichten dicht an dicht. Das Haus lag im Schatten. Niemand schien sich jemals die Mühe gemacht zu haben, sie zu lichten. Sie waren hoch gewachsen und standen wie vorgebeugt. Schwarz und abweisend mit ihren struppigen Zweigen, die schlaff und schmal zu Boden hingen. Sie waren das Bild eines Vaters, der mit dem Gürtel in der Hand in der Schlafzimmertür steht. Sie waren eine Mutter, deren Arme ohnmächtig herabhängen.
Geh nicht hinein, sagte ihre innere Stimme.
Ihre Nackenhaare sträubten sich.
Später würde ihr einfallen, dass sie so empfunden hatte. Aber im Moment hörte sie nicht auf diese innere Stimme.
Der Hund kratzte am Gitter. Die Luft war eine dicke Suppe aus Widerwillen. Hinter dem Fenster bewegte sich vorsichtig die Gardine. Jemand war zu Hause.
An der Tür verkündete ein Schild: »Betteln und Hausieren verboten.« Als sie klingelte, wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Ein altes Frauengesicht fragte nach ihrem Begehr. Anna-Maria Mella stellte sich vor.
Annis Schwester, dachte sie. Welchen Namen hatte Anni noch genannt? Kerttu. Sie versuchte, irgendeine Ähnlichkeit zu erkennen. Es gab vielleicht eine, aber Anna-Maria musste sich eingestehen, dass sie bei Anni vor allem auf Anzeichen von Alter geachtet hatte. Ihre Haltung, ihre vielen Falten, die knochigen Hände. Anna-Maria versuchte sich vorzustellen, wie die Schwestern in ihrem eigenen Alter ausgesehen hatten. Anni hatte dünne Haare. Ihr Gesicht war lang und schmal, genau wie Anna-Marias. Kerttu Krekula hatte noch immer füllige Haare. Ihre Wangenknochen waren hoch. Sie war sicher die hübsche Schwester gewesen. Und die jüngere.
Aber Anni war munter gewesen. Wenn sie nicht um Wilma getrauert hatte, natürlich.
Kerttus Mundwinkel zogen sich nach unten, als ob sie auf jeder Schulter einen Teufel sitzen hätte, der mit einem Bootshaken daran zog.
»Ich lasse keine Fremden ins Haus«, sagte sie. »Man weiß ja nie.«
»Sie sind doch Anni Autios Schwester?«
»Ja doch.«
»Kerttu?«
»Ja doch.«
»Ich komme gerade von Anni. Sie hatte gebacken.«
»Ich backe nie. Wozu sollte das gut sein? Wo man doch kaufen kann. Und meine Hände sind auch nicht mehr so gut.«
Jetzt redet sie
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