Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Glas schlug, sich laut und vernehmlich bei uns bedankte und uns als eine der besten Bands in der Welt ausrief (die Blicke der Versammelten: »Wer denn, wer denn?«). Nennt es blöd oder sonstwas, in dem Moment war ich wirklich gerührt.
Das Video war großartig, doch niemand außer uns hat es in der ersten und besten Fassung je gesehen. Mit Verweis auf die Auflagen der »Independent Television Commission« (ITC) entschieden die Vorschmecker von MTV, daß es der europäischen Jugend so nicht zugemutet werden könnte. Es gab da eine kurze Szene, in der eine Justitia-Gestalt sich mit einem
Schwert durchbohrt, vergleichsweise harmlos eigentlich. Doch die Szene mußte rausgeschnitten und für sie eine andere montiert werden, und dann fanden sie wieder was, und noch etwas und noch etwas. Drei, vier Mal ging ein neues Masterband zwischen Düsseldorf, New York und London hin und her, bis »Wünsch Dir was« endlich laufen durfte. Jedes Mal wurden die Auflagen der englischen Kommission vorgeschoben, aber die Wahrheit war wohl eher, daß man bestimmte Bands nicht in die besten Sendezeiten lassen wollte. Denn während wir unseren Film zum Teil verstümmelten, passierten Videos mit viel härteren Szenen ohne Beanstandung das jüngste MTV-Gericht.
Es ist nicht eben billig, ein Video neu zu schneiden, aber das war für uns kein existentieller Punkt. Die Unverschämtheit war, daß hier Zensur ausgeübt wurde. Da saßen ein paar Leute auf ihren runzligen Arschbacken und entschieden im Namen der Jugend, was die Jugend sehen dürfe und was nicht. Sie entschieden nicht diktatorisch, denn man konnte das Video trotz der Beanstandung erneut in der ursprünglichen Form einreichen, wenn man darauf bestand. Nur lief es dann nicht mehr um neun Uhr abends oder um zwölf, sondern vielleicht um drei Uhr früh. Schließlich macht man ein teures Video in erster Linie, damit es irgend jemand sehen kann. Und MTV war zu der Zeit noch der einzige internationale Musikkanal, er hatte das europäische Monopol.
Ein Pastor, von hinten gefilmt, der einem vor ihm knieendenjungen eine Oblate in den Mund legt - aber es könnte auch anders ausgelegt werden -, schon war das Video zu »Sexual« (von der »Love, Peace & Money«) gestoppt. Der abgetrennte Rinderschädel in unserem jüngsten Video »Ewigkeit«, ebenfalls mit Hans an zwei diesigen Dezembertagen im Amsterdamer Studio gedreht - gestoppt. Jeden Tag werden Millionen von hormongemästeten Rindern, Schweinen und Hühnern von Belfast bis Barcelona im Fließbandstil abgemurkst, nicht zuletzt auch für den Präsentator der jährlichen MTV-Awards, »Burger King«. Aber der europäischen Jugend wird der Kopf einer toten Kuh nicht zugemutet. Das ist schwer zu akzeptieren, wenn du fünfundzwanzig Jahre vorher in Berlin gegen Kartelle und Zensur, wenn du überhaupt gegen Autoritäten und Instanzen aufbegehrt hast.
Ich wurde dreimal geboren, bevor ich eine Tote Hose war. Jede dieser Geburten verlief nicht ohne Schmerzen und Komplikationen, aber jede läutete auch ein neues Leben ein.
Das erste Mal kam ich an einem kalten Januartag vor vielen Jahren in Kiel zur Welt, als drittes Kind einer ziemlich reinrassigen Beamtenfamilie. Ich konnte noch keine Farben erkennen, sonst wäre mir vermutlich schnell die gelbe Farbe auf die Nerven gefallen, in der die Gedanken der ganzen Sippe eingefaßt waren - die gelbe Farbe der Bundespost. Opa, Mama, fast alle waren bei der Post, und wenn sie wie Papa mal nicht bei der Post waren, hatte sie eben eine andere Behörde angestellt. Ich war aber eigentlich nicht wirklich lebendig in den nächsten achtzehn Jahren, denn alles, was man mir bis dahin vermittelte, lief auf ein stetiges Bemühen um Unsichtbarkeit hinaus.
Nur nicht herausragen und bloß keine Kapriolen schlagen, in der Schule am besten die »3« anpeilen, zwischen Himmel und Hölle den goldenen (gelben!) Weg der kleinen Zufriedenheiten wählen - das war die bewährte Lebenstaktik in der x-ten Generation, die ich fortsetzen sollte.
Es war nicht so, daß alle persönlichen Neigungen unterdrückt wurden. Mama hatte Klavier gespielt, war vor dem Krieg mit dem ersten Geiger der Semper-Oper in Dresden verheiratet gewesen. Ihr Vater spielte auch Klavier und dazu Cello. Gar nicht so selten konzertierten Mama und Opa gemeinsam, jedenfalls bis zu Opas erstem Schlaganfall. Aber das Zeug, das sie spielten, waren meistens Märsche, ganz nervige Sachen, und natürlich wurden sie nie so keck, ihre Musik außerhalb der eigenen vier
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