Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
Wenn sie mich fände, würde sie sich vielleicht mit mir zufriedengeben. Vielleicht würde sie, wenn sie mit mir fertig wäre, einfach wieder verschwinden …
Weglaufen schied also aus. Und wo sollte ich auch hin? Zu Renée? Ich schauderte beim Gedanken, meine tödlichen Schatten in die unbeschwerte, sonnige Welt meiner Mutter zu ziehen. Niemals würde ich sie einer solchen Gefahr aussetzen.
Die Sorge fraß mir ein Loch in den Bauch. Bald würde es so groß sein wie das in meiner Brust.
An diesem Abend tat Charlie mir noch mal einen Gefallen: Er rief Harry an, um zu fragen, ob die Blacks verreist seien. Harry berichtete, Billy sei Mittwochabend auf der Ratssitzung gewesen und habe nichts von einer bevorstehenden Reise gesagt. Charlie riet mir, Jacob nicht hinterherzulaufen – er würde schon anrufen, wenn er so weit wäre.
Freitagnachmittag, als ich von der Schule nach Hause fuhr, traf es mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Ich achtete kaum auf die vertraute Straße, das Geräusch des Motors betäubte mir das Hirn und übertönte meine Sorgen, als mein Unterbewusstsein zu einem Urteil kam, auf das es offenbar schon eine ganze Weile ohne mein Wissen hingearbeitet hatte.
Kaum fiel es mir ein, kam ich mir ziemlich dumm vor, weil ich es nicht früher kapiert hatte. Zwar hatte ich viel im Kopf gehabt – rachsüchtige Vampire, mutierte Riesenwölfe, ein klaffendes Loch in der Brust –, aber als ich mir die Indizien vor Augen führte, waren sie beschämend eindeutig.
Da war einmal die Tatsache, dass Jacob mir aus dem Weg ging. Und Charlie hatte gesagt, er sähe komisch und aufgebracht aus … Dann Billy mit seinen ausweichenden, wenig hilfreichen Antworten …
Verdammt, ich wusste genau, was mit Jacob los war.
Es war Sam Uley. Selbst meine Albträume hatten mir das sagen wollen. Sam hatte sich Jacob gekrallt. Mit ihm war dasselbe passiert wie mit den anderen Jungen aus dem Reservat, und ich hatte dadurch einen Freund verloren. Er war in Sams Gang hineingezogen worden.
Er hat mich gar nicht aufgegeben, durchfuhr es mich plötzlich.
Vor unserem Haus hielt ich, ließ aber den Motor laufen. Was sollte ich tun? Ich wog die Gefahren gegeneinander ab.
Wenn ich zu Jacob fuhr, ging ich das Risiko ein, dass Laurent oder Victoria mich mit ihm zusammen fand.
Wenn ich nicht zu ihm fuhr, würde Sam ihn noch tiefer in seine schreckliche verschworene Gang hineinziehen. Wenn ich nicht bald etwas unternahm, war es vielleicht zu spät.
Jetzt war schon eine Woche vergangen, ohne dass irgendein Vampir bei mir aufgetaucht wäre. In einer Woche hätten sie es leicht schaffen müssen zurückzukommen, also stand ich auf ihrer Prioritätenliste wohl nicht sehr weit oben. Wahrscheinlich würden sie ja sowieso nachts kommen. Das Risiko, dass sie mir nach La Push folgten, war viel kleiner als das Risiko, Jacob an Sam zu verlieren.
Ich musste es wagen, über die einsame Waldstraße zu fahren. Ich fuhr nicht bloß vorbei, um zu gucken, was los war. Ich wusste , was los war. Ich plante eine Rettungsaktion. Ich musste mit Jacob reden – ihn notfalls entführen. Ich hatte mal eine Dokumentation im Fernsehen gesehen, in der es darum ging, wie man eine Gehirnwäsche rückgängig machen kann. Es musste eine Möglichkeit geben, ihn zu retten.
Ich beschloss, vorher noch Charlie anzurufen. Vielleicht war es besser, wenn die Polizei wusste, was da in La Push vor sich ging. Ich sauste in die Küche, ich wollte keine Zeit verlieren.
Charlie ging selbst ans Telefon.
»Chief Swan.«
»Dad, ich bin’s.«
»Was ist passiert?«
Diesmal konnte ich ihm keine Vorwürfe machen, weil er sofort mit dem Schlimmsten rechnete. Meine Stimme zitterte.
»Ich mache mir Sorgen wegen Jacob.«
»Wieso?«, fragte er. Er klang überrascht.
»Ich glaub … ich glaub, im Reservat geht irgendwas Merkwürdiges vor. Jacob hat mir erzählt, dass mit den anderen Jungen in seinem Alter komische Dinge passieren. Jetzt benimmt er sich genauso, und ich hab richtig Angst.«
»Was denn für Dinge?« Er klang sehr geschäftsmäßig. Das war gut, er nahm mich also ernst.
»Erst hatte er Angst, dann ist er mir aus dem Weg gegangen, und jetzt … ich fürchte, dass er in diese abgefahrene Gang geraten ist, in Sams Gang. Sam Uley.«
»Sam Uley?«, fragte Charlie verblüfft.
»Ja.«
Als Charlie wieder sprach, klang er lockerer. »Ich glaube, da bist du auf dem falschen Dampfer, Bella. Sam Uley ist ein prima Junge. Oder eigentlich ist er ja schon ein Mann. Schwer in
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