Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
glänzender Satin. Seine Gesichtszüge schienen etwas härter und schärfer geworden zu sein … er war älter geworden. Auch sein Hals und seine Schultern wirkten anders, irgendwie kräftiger. Seine Hände, die den Rahmen der Scheibe umfassten, sahen gigantisch aus, die Sehnen und Adern traten unter der rostbraunen Haut jetzt noch stärker hervor. Doch diese körperlichen Veränderungen waren vergleichsweise unbedeutend.
Es war sein Gesichtsausdruck, der sich so sehr verändert hatte, dass er kaum wiederzuerkennen war. Das offene, freundliche Lächeln war zusammen mit dem langen Haar verschwunden; die Wärme seiner dunklen Augen war einem dumpfen Groll gewichen, der sofort unangenehm auffiel. Jacob hatte jetzt etwas Dunkles an sich. Als wäre meine Sonne implodiert.
»Jacob?«, flüsterte ich.
Er starrte mich nur an, angespannt und wütend.
Jetzt bemerkte ich, dass wir nicht allein waren. Hinter ihm standen noch vier Jungs, alle groß und rothäutig, das dunkle Haar kurz geschnitten wie Jacob. Sie hätten Brüder sein können – Embry konnte ich in der Gruppe gar nicht ausmachen. Die Ähnlichkeit wurde noch verstärkt durch dieselbe Feindseligkeit, die sie alle im Blick hatten.
Alle außer einem. Der mit Abstand Älteste von ihnen, Sam, hielt sich im Hintergrund, er sah gelassen und selbstsicher aus. Ich musste die aufkommende Wut herunterschlucken. Am liebsten hätte ich ihn geschlagen. Nein, noch mehr. Am liebsten wäre ich wild und unbesiegbar gewesen, jemand, dem sich niemand entgegenzustellen wagte. Jemand, vor dem Sam Uley eine Heidenangst hätte.
Ich wollte ein Vampir sein.
Dieser heftige Wunsch traf mich völlig unvorbereitet und raubte mir den Atem. Es war der verbotenste aller Wünsche – selbst wenn er mir jetzt nur aus Bosheit eingefallen war, um meinem ärgsten Widersacher überlegen zu sein –, weil er am meisten wehtat. Diese Zukunft war für immer verloren, war eigentlich nie im Bereich des Möglichen gewesen. Während das Loch in meiner Brust brannte, versuchte ich die Selbstbeherrschung wiederzuerlangen.
»Was willst du?«, fragte Jacob. Als er sah, welche Gefühle sich in meinem Gesicht spiegelten, wurde er noch unfreundlicher.
»Ich will mit dir reden«, sagte ich mit schwacher Stimme. Ich versuchte klar zu denken, aber ich kämpfte immer noch damit, meinen verbotenen Traum wieder unter Kontrolle zu bekommen.
»Na los«, zischte er durch die Zähne. Er schaute mich boshaft an. Nie zuvor hatte ich gesehen, dass er jemanden so angeschaut hatte, schon gar nicht mich. Es schmerzte überraschend heftig – ein körperlicher Schmerz, ein Stich im Kopf.
»Allein!«, zischte ich.
Er drehte sich um, und ich wusste, wen er ansah. Alle hatten den Blick auf Sam gerichtet und warteten auf seine Reaktion.
Sam nickte einmal kurz mit gleichbleibend ruhiger Miene. Er sagte schnell etwas in einer unbekannten, fließenden Sprache. Ich erkannte nur, dass es weder Französisch noch Spanisch war, und nahm an, dass es Quileute war. Er wandte sich um und ging in Jacobs Haus. Die anderen, vermutlich Paul, Jared und Embry, folgten ihm.
»Okay.« Als die anderen weg waren, wirkte Jacob nicht mehr ganz so zornig. Sein Gesicht sah jetzt ruhiger aus, aber auch hoffnungsloser. Die Mundwinkel wiesen die ganze Zeit nach unten.
Ich holte tief Luft. »Du weißt, was ich wissen will.«
Er gab keine Antwort. Er sah mich nur mit bitterer Miene an.
Ich starrte zurück und das Schweigen zog sich in die Länge. Der Schmerz in seinem Gesicht machte mich völlig fertig. Ich spürte, wie ein Kloß in meinem Hals wuchs.
»Können wir ein Stück gehen?«, fragte ich, solange ich noch sprechen konnte.
Er gab keine Antwort, in seinem Gesicht regte sich nichts.
Ich stieg aus dem Wagen – ich spürte die Blicke hinter dem Fenster auf mir, ohne sie zu sehen – und ging zu den Bäumen nördlich vom Haus. Meine Schritte machten in dem feuchten Gras und im Matsch am Straßenrand ein schmatzendes Geräusch, und da sonst nichts zu hören war, dachte ich zunächst, Jacob käme nicht mit. Doch als ich mich umschaute, war er neben mir; seine Füße schienen eine weniger geräuschvolle Spur gefunden zu haben.
Am Waldrand, wo Sam uns nicht sehen konnte, fühlte ich mich wohler. Während wir gingen, suchte ich nach den richtigen Worten, doch mir fiel nichts ein. Ich wurde nur immer wütender darüber, dass Jacob da hineingeraten war … dass Billy das zugelassen hatte … dass Sam so selbstgewiss und ruhig dastehen konnte
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