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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldo Cazzullo
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Lederweste vom Schlamm zu reinigen, hatten es noch gar nicht gesehen. Der Inspektor knöpfte die Weste auf, so sanft wie bei einem Kind. Dabei fiel ein altes Uniformabzeichen heraus, auf daser nur einen flüchtigen Blick warf, bevor er es einsteckte. Auch das karierte Hemd hatte ein Loch an derselben Stelle. Und das Wollunterhemd. Und die Brust. Ein kleiner roter Punkt, fast unsichtbar zwischen den weißen Haaren. Auf Höhe des Herzens.

14

Alba,
Donnerstag, 19. April 1945, 3.30 Uhr
    «Nein! Absolut unmöglich!»
    Noch nie hatte Moresco Alberto so aufgewühlt erlebt, nicht einmal bei einem Angriff der Deutschen.
    «Alberto, beruhige dich. Der Pater hier macht doch nur einen Vorschlag.»
    «Nein, Domenico. Der Pater macht keinen Vorschlag. Er versucht, uns zu kaufen. Unseren Krieg, unser Blut. Das Blut der Genossen. Er versucht, unsere Gefallenen zu kaufen! Und du, du hörst ihm auch noch zu!»
    Bei Erwähnung der Gefallenen wurde auch der sonst so kaltblütige Moresco laut.
    «Was fällt dir ein! Willst du mir etwa Verrat vorwerfen? Habe ich nicht jede Stunde des Krieges, jede Gefahr, jede Kugel mit dir geteilt? Hältst du dich etwa für was Besseres?»
    Alberto begriff, dass er sich so nicht durchsetzen konnte.
    «Domenico, sei doch vernünftig. Wir können das Gold nicht für uns behalten. Die Genossen werden uns danach fragen. Entweder wir kommen mit leeren Händen zurück, dann halten sie uns für Schwachköpfe, die nur große Töne spucken. Oder wir kommen mit dem Gold, dann werden sie ihren Anteil verlangen. Ach was, so wie ich sie kenne, werden sie sagen, dass das Gold der Partei zusteht, dem Volk. Den Partisanen. Dass man es an die Familien der Gefallenen verteilen muss. Dass es nach Rom soll. Unser Beitrag für ein sozialistisches Italien. Für die Revolution. Jedenfalls haben wir sowieso keinen Platz, um es zu verstecken.»
    Moresco war praktisch veranlagt, und dieses Argument brachte ihn aus dem Konzept. Doch Don Tadini säuselte verführerisch wie eine Schlange:
    «Ihr müsst es ja nicht sofort mitnehmen. Der Bischof hat eindeutig gesagt: gleiche Teile. Eine Hälfte für euch, die andere für die Kirche. Ihr könnt damit machen, was ihr wollt, unter einer Bedingung: Das Gold bleibt hier in Alba. Ihr seid doch auf Zack. Zwei anständige junge Männer. Ihr habt im Krieg gekämpft, aber jetzt ist der Krieg vorbei. Nutzt das Geld. Stellt es in den Dienst der Gemeinschaft. Wir hier brauchen es dringender als Togliatti oder Stalin.»
    «Und wer garantiert mir, dass ihr Priester uns nicht reinlegt?», fragte Moresco knallhart.
    «Dann hast du dich also schon entschieden!», brüllte Alberto.
    Doch Moresco hörte ihm gar nicht mehr zu.

15

Alba,
Dienstag, 19. November 1963
    In dem Souterrain, eiskalt im Winter und stickig im Sommer, war es im November schon empfindlich kalt. Um draußen ein wenig frische Luft zu schnappen, wartete der Mann, bis die Stoßzeit vorbei war. Dann überquerte er den Hof und tat so, als merkte er nicht, dass man ihn heimlich beobachtete. Dicht an den Häuserwänden entlang ging er schnell die Via Maestra hinunter bis zum Vicolo dell’arco. Der Freund hörte ihn kommen und lud ihn ein, auf ein Glas Wein hereinzukommen. Der Mann lehnte ab. Mit vierzig war er schon ein Wrack, aber eine innere Disziplin untersagte ihm, sich vollkommen gehen zu lassen. Und diese Disziplin verlangte von ihm, nicht zu trinken. Jedenfalls nicht um zehn Uhr morgens.
    So blieb er auf der Straße stehen und wechselte mit dem Freund ein paar Worte. Wie immer erzählte der Freund ihm von seinem großen Plan, ein Parteibüro des Movimento sociale aufzumachen, hier in seinerWohnung, mitten im Herzen von Alba, der hochdekorierten Heldenstadt der Resistenza, eine echte Provokation.
    Der Mann hörte ihm geduldig zu, doch am Schluss sagte er weder Ja noch Nein. Dann ging er weiter Richtung Rathaus, bog um die Ecke und sah eine Weile zu den vergitterten Fenstern des Gefängnisses hinüber. Rathaus, Gericht und Zellen, alles im selben Gebäude, wie im Mittelalter. Er wartete, ob vielleicht jemand ans Fenster käme, um ein Zeichen des Einverständnisses auszutauschen, ein Lächeln, aber es war niemand zu sehen.
    Dann ging er nach Hause und machte sich etwas zu essen. Die Zeitung aus Rom – das einzige Exemplar in der ganzen Stadt – war noch nicht gekommen. So las er die von gestern noch einmal. Er warf einen Blick auf das Foto an der Wand und die Büste auf der Kredenz. Höchste Zeit, sie mal wieder abzustauben,

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