Bitter im Abgang
salomonische.» Und dabei verwandelte sich sein Lächeln in ein sardonisches Grinsen.
12
Alba,
November 1963
Unter den Freunden machte die Geschichte die Runde, wie Amilcare Braida vor ein paar Wochen in geradezu euphorischer Stimmung ins Hotel Sanremo gekommen war; so kannte man ihn gar nicht.
«Diesmal werde ich es allen zeigen!», hatte er gebrüllt und dabei den Unterarm provozierend nach oben schnellen lassen. Das war überhaupt nicht seine Art. Zudem hatte er zusammenhängend geredet, ohne zu stocken, so kannte man ihn auch nicht. Dass Amilcare in aller Öffentlichkeit einen ganzen Satz herausbrachte, hatten seine Freunde noch nie erlebt.
Die Geschichte vom Kriegsschatz. Eine Geschichte wie geschaffen, um großes Epos und Lokalhistorie, den Weltkrieg und die Familienkriege miteinander zu verbinden. Zuerst würde er sie auf Englisch und im piemontesischen Dialekt schreiben, um sie dann ins Italienische zu übersetzen, in eine neue,wendige, schnelle Sprache, trocken wie ein Gewehrschuss.
Erst seit ein paar Tagen wusste Amilcare von seiner Erkrankung. Er nahm es als Ermutigung, als Aufforderung, sich zu sputen, sich an die Arbeit zu machen, den Elan zu finden, den er allein niemals aufgebracht hätte. Sich zu einem Schlaf ohne Träume und Ängste zu zwingen. Um sich dann, direkt nach dem Aufstehen, hochmotiviert und mit Lust an den Schreibtisch zu setzen und unerschrocken mit seiner Stadt abzurechnen, und mit dem Unternehmen, das ihm seinen Lebensunterhalt sicherte.
Aber dann wurde es doch knapp, es mangelte ihm an Zeit und Informationen. Es sollte keine erfundene Geschichte sein. Amilcare plante eine streng an den Fakten orientierte Erzählung, eine Art Reportage, wie sie die Zeitungen, die immer nur ängstlich auf ihre Anzeigenkunden schielten, niemals drucken würden. Aber er durfte nichts falsch machen. Schließlich ging es um die bekanntesten Familien der Stadt. Für diesen Schatz war geschossen und gemordet worden. Vielleicht sogar gefoltert und massakriert. Er hatte verkörpert, was vom alten Italien übrig war, und dazu beigetragen, das neue Italien aufzubauen. Ein Land, das sich die beiden neuen Mächte untereinander aufgeteilt hatten. Was für eine Geschichte. Da durfte nichts schiefgehen. Dank Alberto hatte er jetzt alleInformationen. Nun kam es nur noch darauf an, dass auch die Krankheit sich als großzügig erwies.
13
Wald von Costamagna,
Sonntag, 25. April 2011, 14 Uhr
Um die Leiche in Ruhe zu untersuchen, ließen der Kommissar und der Inspektor alle Anwesenden dreißig Schritte zurücktreten. Bei genauerem Hinsehen entdeckten sie an der rechten Schläfe einen blauen Fleck, ein Indiz für einen allerdings ziemlich leichten Schlag. Nichts, was den Tod erklären könnte. Der Besitzer des roten Panda und sein Freund waren bereits im Polizeipräsidium und warteten darauf, vernommen zu werden. Aber das hatte keine Eile. Je länger man sie schmoren ließ, desto mehr würden sie reden. Darüber hinaus hatten die Polizisten die Tüte mit den Trüffeln beschlagnahmt.
Moresco war ein passionierter Trüffelsucher und daher bei den Profis nicht sonderlich beliebt. Und dass Trüffelsucher kein Pardon kannten und untereinander zu den größten Schandtaten fähig waren, das wusste auch der Inspektor, obwohl er aus dem Süden kam, aus Atrani. Aus den Erzählungen seiner AlbeserFreunde kannte er die Geschichten von manch einem, der mit einem Sack überm Kopf zusammenschlagen wurde, von aufgeschlitzten Reifen – wie an Morescos Geländewagen – von Feindschaften, die seit Generationen vom Vater an den Sohn weitergegeben wurden, Dorf gegen Dorf, Familie gegen Familie. Es war wie in seiner Heimat an der Küste, wo jede Stadt eine Zwillingsschwester hatte, mit der sie verfeindet war: Atrani mit Amalfi, Positano mit Praiano, Scala mit Ravello, Minori mit Maiori … Aber hier waren die Dinge komplizierter, die hohen gegen die niederen Langhe, die Besitzer der Haselnussplantagen gegen die Winzer, die Dolcetto- gegen die Barbaresco-Produzenten und sämtliche Landbewohner gegen die Albesi. Moresco kam aus der niederen Langa, war Winzer, stellte den teuersten Barbaresco her, wohnte in Alba. Eine perfekte Zielscheibe. Milliardär, mit Wohnsitz und Niederlassungen in allen Metropolen wie Bulgari, in Paris, London, Los Angeles, New York. Und zu allem Überfluss ging er auch noch auf Trüffelsuche.
Es war der Inspektor, der das winzige Einschussloch entdeckte. Die Leute von der Spurensicherung, die dabei waren, die
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