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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldo Cazzullo
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wissen, dass ich unseren Kindern einen ehrbaren Namen hinterlasse. Von mir haben sie keinen einzigen Namen, keine einzige Information erfahren. Ich habe meine Männer geschützt und bis zuletzt meine Pflicht als Offizier und Italiener erfüllt.»
    Inzwischen war auch den Faschisten und den Nazis klar geworden, dass es für sie bei Oberst Murazzano nichts zu holen gab. Doch so, wie sie ihn zugerichtet hatten, durfte er auf keinen Fall in die Hände der Alliierten fallen. Deshalb mussten sie ihn verschwinden lassen, und zwar möglichst schnell. Selbst seine Bitte, einen Abschiedsbrief an seine Frau schreiben zu dürfen, wurde abgelehnt. Erst als der Kaplan sich bereiterklärte, den Brief persönlich zu überbringen und für die Geheimhaltung des Inhalts zu garantieren, bekam der Oberst die Erlaubnis. Beim ersten Morgengrauen begann er zu schreiben. Er verzichtete auf die letzte Mahlzeit, damit er genügend Zeit hatte, um die Worte sorgfältig zu wählen, die er seiner Familie für die Zukunft mitgeben wollte.
    «In Frankreich haben wir uns maßvoll verhalten. Hätten wir vielleicht mehr ausrichten können? Schon möglich. Aber ich bin stolz darauf, das bewahrt zu haben, was von unserem militärischen Feldzug noch übrig war, und verhindert zu haben, dass es zu Untaten missbraucht wurde. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass meine persönlichen Opfer dazu dienen werden, unser geliebtes Vaterland wieder aufzubauen, es zu einem besseren Ort zu machen, an dem unsere Kinder zu starken, sicheren Menschen heranwachsen können.
    Erziehe sie zum Glauben an Gott und zur Freiheitsliebe. Wenn sie groß sind, sorge dafür, dass sie ab und zu diese Zeilen lesen, damit sie nicht vergessen, dass ich bis zuletzt an sie und ihre Mutter gedacht habe und dass Papa sie nicht im Stich gelassen hat. Für Dich, meine Liebe, wird das Leben nicht leicht sein. Wenn du Hilfe findest, nimm sie an. Ich jedenfalls werde immer an Eurer Seite sein, an jedem Tag, der da kommen wird. Ich widme mein Leid dem Herrn,Dir mein Herz und meine Hoffnung dem Vaterland. Es lebe der König, es lebe Italien!»

41

Alba,
Montag, 9. Dezember 1963
    Die Geschäfte waren noch nie so gut gegangen. Das sagte sich Antonio Tibaldi immer wieder, wenn er unruhig wurde. Dann atmete er tief ein. Er mochte den süßen Mostgeruch, der vom See heraufwehte, wenn sich der Wind erhob, wie um alle daran zu erinnern, wer hier das Sagen hatte.
    Es war der zweite Montag im Monat, folglich war die Liste der Leute gekommen, die er einstellen sollte: Landarbeiter aus den Langhe für die Saisonarbeit im Betrieb, Söhne aus bürgerlichen Familien für die Büroarbeit in der Buchhaltung. Diesmal war die Liste länger als gewöhnlich. Offensichtlich fühlte Pater Bergoglio sein Ende nahen und hatte Eile, alles gut geordnet zu hinterlassen. Zum Glück war der Augenblick günstig, und Tibaldi war heilfroh, dass er dem Pater die Bitterkeit der wenigen Ablehnungen ersparen konnte, die er in der Vergangenheit hatte aussprechen müssen.
    Italien war noch nie so reich gewesen, und Alba umso mehr. Jetzt, da sich das Band, das ihn mit der Stadt und der Vergangenheit verband, zu lockern begann, konnte Tibaldi endlich an Expansion denken. An den Bau neuer Betriebsstätten im Süden, um auch dort Wein zu produzieren. An den Transfer von Kapital in gewisse gastfreundliche Länder des Nordens. Und an den Erwerb einer schönen Villa am Meer, vielleicht auf Capri. Die Trauben würden aus Marokko, der Türkei und dem Libanon kommen, wo sie schon mitten im Sommer reif waren, dann aus der Estremadura, der Algarve, der Türkei, wo die Weinlese Mitte August stattfand, und zum Schluss aus der Spätlese in Frankreich und an der spanischen Atlantikküste. In Tibaldis Imperium würde man sechs Monate im Jahr ernten. Um den Ausbau der Weine kümmerte er sich persönlich. Er kostete, korrigierte. Entscheidend war nicht allein, einen guten Wein zu machen. Noch entscheidender war, ihm diesen Ruf zu verschaffen. Und ihn zu verkaufen.
    Trotzdem, wenn man es genau nahm, gab es da etwas, das ihm nicht ganz geheuer war. Der Kommunist. Tibaldi konnte sich nicht erklären, woher er das Geld hatte. Vielleicht wusste er es aber auch nur allzu gut. Allerdings traute er sich nicht, Pater Bergoglio danach zu fragen, weil er wusste, dass dieser nicht gerne darüber sprach. Aber dieser Moresco, wiekonnte er sich die feinsten Barriquefässer leisten, die teuersten Önologen, und dazu noch Rezensionen in Fachzeitschriften, die man auf

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