Bitter im Abgang
investieren, etwas zu wagen. Unsere Demut. Die Lust an harter Arbeit, nicht für uns selbst, auch nicht für den Staat, sondern für die Familie, für die Gemeinschaft. Und natürlich», hier lächelte Tibaldi, denn bisweilen lobte er sich gern selbst, «für Herrn Vincenzo …»
«Wer ist Herr Vincenzo?»
«Mein Geschäftsführer.»
«Den kenne ich nicht. Sie haben jedes Jahr einen neuen …»
«Mein Geschäftsführer ist der italienische Durchschnittskonsument. Jedes Mal, wenn ich einen Wein probiere, denke ich, dass er nicht mir schmecken muss, sondern Herrn Vincenzo. Er darf nicht banal sein, aber auch nicht zu anspruchsvoll. Er darf nicht zu teuer sein, denn Herr Vincenzo ist umsichtig und gibt nicht zu viel fürs Trinken aus; aber er darf auch nicht zu billig sein, denn Herr Vincenzo will nicht das Gefühl haben, ein minderwertiges Produkt zu kaufen.»
«Richtig. Aber, verzeihen Sie, wie ist all das zustande gekommen? Wie haben Sie es angestellt, in wenigen Jahren aus dem Nichts eines der größten Unternehmen Italiens, ja Europas aufzubauen?»
«Sagen sie ruhig, der Welt, jedenfalls in unserem Marktsegment.»
«Genau. Aber wie? Was steckt dahinter? Nehmen wir einmal an, Sie hätten, wie, warum und von wem, weiß ich nicht, die Hälfte des Schatzes bekommen …»
«Schon wieder?»
«Das ist kein Verbrechen, und wenn doch, dann ist es längst verjährt. All das geschah in den letzten Kriegstagen, und damals waren Sie noch ein Junge. Keiner kann Sie für irgendetwas zur Rechenschaft ziehen. Also, warum wollen Sie mich dann nicht in das Geheimnis dieser Angelegenheit einweihen?»
«Ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen. Sie habenein Leben lang für den Staat gearbeitet, und daran haben Sie gut getan. Ich habe großen Respekt vor Polizisten, Carabinieri, Militärs. Ich war immer gern mit ihnen zusammen, und ohne Uniform haben sie sich bei mir stets wohlgefühlt. Sind Sie gläubig?» Der Inspektor schwieg lange. «Ich wüsste nicht. So direkt gefragt …»
«Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie noch nie darüber nachgedacht haben. Glauben Sie oder glauben Sie nicht an Gott?»
«Ja, ich glaube an Gott. Aber was hat das mit unserer Sache zu tun?»
«Es hat damit zu tun. Alles hat mit Gott zu tun. Beten ist grundlegend.» Mit den Augen wies Tibaldi auf eine schwarze Madonna, die große Ähnlichkeit hatte mit jener aus der Provence, die von den Zigeunern verehrt wird.
«Sie gefallen mir, Herr Inspektor. Ich würde sie glatt einstellen, wenn ich nicht wüsste, dass Sie daran nicht interessiert sind. Aber der Staat ist hier nicht präsent. Er ist weit weg. In Rom, in Brüssel. Orte, wo wir nie gewesen sind, die uns nichts angehen. Sicher, wir haben dort unsere Leute, die unsere Interessen vertreten und dafür angemessen bezahlt werden. Schon Turin ist für uns wie die Hauptstadt eines anderen Landes. Von Rom ganz zu schweigen. Sehen Sie sich die Landkarte an. Ziehen Sie einen Strichvon Turin nach Savona. Der verläuft direkt auf der Via Maestra. Gleichzeitig macht die Autobahn einen weiten Bogen um Alba, so weit wie möglich von der Stadt entfernt, ungefähr dreißig Kilometer. Und bis nach Mailand ist es eine richtige Reise. Aber wir sind ohnehin nicht an der Börse und haben das auch nicht vor, und falls wir es eines Tages doch tun, dann gehen wir bestimmt nach Sao Paolo in Brasilien oder nach Hongkong. Alba ist eine kleine Stadt, die beschlossen hat, klein zu bleiben. Wir haben einen langen Anlauf gebraucht, und das war unser Glück.»
«Auch Moresco war für seine Verhältnisse sehr erfolgreich. Trotzdem hat man ihn ermordet. An Ihrer Stelle wäre ich vorsichtig», wagte der Inspektor vorzuschlagen.
«Und ich an Ihrer Stelle», sagte Tibaldi abschließend mit dem Gestus desjenigen, der gewohnt ist, Anweisungen zu geben, «würde mich beeilen, dem Mörder Handschellen anzulegen, anstatt nach Schätzen zu suchen, die gar nicht existieren, weiter harmlose Privatleute zu belästigen und eine schon genug gebeutelte Stadt in Angst und Schrecken zu versetzen.»
43
Alba,
Dienstag, 27. April 2011, 13 Uhr
Alberto wollte um jeden Preis verhaftet werden. Der Inspektor hatte sich Zeit gelassen, um ihn ein wenig unter Druck zu setzen, aber offenbar konnte es Alberto kaum abwarten, ein Geständnis abzulegen. Als wäre er stolz darauf, nicht nur den Faschisten, sondern auch Moresco ermordet zu haben. Zumindest war ihm sehr daran gelegen, dass alle ihn für den Täter hielten.
Der Inspektor schien verärgert zu
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