Bitter im Abgang
ausrichten?»
«Wir haben da noch ein paar offene Rechnungen.»
«Alberto, sei vernünftig. Du weißt nicht, wie viele sie sind, wo sie sich verstecken, wer sie schützt. Sie sind besiegt, verschreckt, auf der Flucht. Es ist wie bei wilden Tieren, wenn sie keinen Ausweg mehr sehen, sind sie am gefährlichsten.»
«Nein, Domenico, der Krieg ist nicht aus. Für dich vielleicht. Du bist jetzt reich. Du brauchst nicht mehr zu kämpfen. Für dich gibt es nichts mehr zu erobern.»
«Wenn du wüsstest, wie falsch du damit liegst! Begreifst du nicht, dass es jetzt erst richtig losgeht? Italien muss wieder aufgebaut werden. Alles muss neugestaltet werden. Jetzt haben wir die Mittel, etwas Großes auf die Beine zu stellen. Hier in Alba.»
«Sicher. Eine schöne große Villa hier in Alba, um darin das Gold zu verstecken. Und die Gewissensbisse.» Moresco hüllte sich in Schweigen, betrachtete den Mond, lauschte den Fröschen, genoss die Kühle. Und den Wein. «Unser Wein ist der beste der Welt. Und wir werden ihn in die ganze Welt exportieren. Dies ist der Beginn einer neuen Zeit. Es wird Arbeit und Wohlstand für alle geben.» Und er erhob das Glas zu einem einsamen Trinkspruch: «Auf Geld und Arbeit!» «Bravo Domenico. Dein Kommunismus hat gerade so lange gehalten wie deine Armut.»
«Daran sieht man, dass du mich doch nicht so gut kennst. Ich werde immer Kommunist bleiben. Und eines Tages werde ich der Partei zurückgeben, was ich in ihrem Namen genommen habe. Was hätte ich denn tun sollen? Alles den Pfaffen überlassen?»
«Warum nicht? Den Pfaffen und den Reichen, deinen neuen Freunden. Komplizen und Mitwissern deines Geheimnisses.»
Moresco setzte eine vielsagende feierliche Miene auf. Das war seine Art zu reagieren, wenn man ihn provozierte. «Hör gut zu, Alberto, und vergiss es nicht, denn ich sage es dir nur ein Mal. Eines Tages werden wir unseren Wein in Amerika verkaufen, auf einem Wolkenkratzer, im obersten Stock.»
«Hör auch du gut zu, Moresco, denn auch ich sage es dir nur ein Mal: Eines Tages, wenn du es am wenigsten erwartest, werde ich dich zur Rechenschaft ziehen. Und dich töten.»
38
Alba,
Sonntag, 8. Dezember 1963
Als Amilcare Braida am Sonntagmorgen zu Grabe getragen wurde, fiel der erste Schnee. Es war ein weltliches Begräbnis, schlicht, sehr schlicht: keine Blumen, keine Reden. So hatte er es gewollt. Er war gestorben ohne Klage, ohne Fluch, ohne eine Träne. Mit dem letzten Atemzug hatte er seinem Griechischlehrer noch zugeflüstert: «Wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig», als wäre er nun von der Krankheit des Lebens geheilt.
Der Sarg wurde abwechselnd von den Kampfgefährten aus der Partisanenzeit und den aus Turin angereisten Schriftstellern getragen. Der Trauerzug durchquerte eine gleichgültige Stadt, schlug denselben Weg ein, auf dem er einst tief gebückt den Handwagen mit Fleisch gezogen hatte, um von seinen Klassenkameraden nicht erkannt zu werden. Vorbei an der Bar, wo er immer Karten gespielt hatte, an der alten Fleischerei, am Gymnasium. Pater Bergoglio wollte trotzdemein paar Worte sagen. «Nur ein Abschiedswort», sagte er entschuldigend. «Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat ei. Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen. Auf Wiedersehen, Milcare.»
39
Alba,
Dienstag, 27. April 2011, 10 Uhr
Es wurde nie abschließend geklärt, warum er es getan hatte. Und dann noch am helllichten Tag. Das war fast wie ein Geständnis. Als müsse er auch die andere Straftat auf sich nehmen, um irgendetwas zu verbergen oder irgendeinen anderen zu decken.
Arglos hatte Vergnano die Tür aufgemacht, ohne nachzusehen, wer da war. Es war die Stunde des Postboten. Ein schlauer Schachzug. Aber daran hatte Alberto gar nicht gedacht.
So stand sein Opfer direkt vor ihm, und er brauchte nur noch abzudrücken. Vergnano machte nicht einmal den Versuch, die Tür zuzuschlagen. Er wich ein paar Schritte zurück und hob wie zum Schutz instinktiv die Arme. Die erste Kugel durchbohrte seine Hände wie bei Christus.
Während die Nachbarn aus ihrer Wohnung kamen, um nachzusehen, was passiert war, verließ Alberto seelenruhig das Haus. Wie ein Spaziergänger machteer sich auf den Weg ins Polizeipräsidium, um sich zu stellen.
40
Turin,
Sonntag, 22. April 1945, 5 Uhr
«Meine Liebste, das Exekutionskommando ist angetreten. Es kommt mir vor wie eine Befreiung. Als käme ich bald nach Hause und könnte Dich endlich wiedersehen.
Vor allem sollst Du
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