Bittere Mandeln
Norie jedoch hatte diese Bäume in ihrem eigenen Garten, und so glaubte ich nicht, daß sie tatsächlich allergisch war. Vermutlich hatte sie den Mundschutz noch von ihrer letzten Erkältung in der Handtasche.
»Sakura hat mehr mit den Machtkämpfen innerhalb der Schule zu tun als Norie. Das könnte zu Spannungen führen«, sagte Richard.
»Sakura ist bereits ganz oben angekommen. Ihr Verhalten meiner Tante und den anderen gegenüber war unglaublich unhöflich. Ich begreife nicht, wieso die Schule nicht einschreitet.«
»Du könntest dich bei der Schulleitung beschweren.«
Ich lachte erstaunt auf. »Richard, ich bin gerade zweimal in dem Kurs gewesen. Normalerweise dürfte ich nicht mal dabeisein, weil er für Fortgeschrittene ist, aber meine Tante hat Mrs. Koda überredet, mich in ihrem Beisein die Gestecke aus dem Anfängerbuch machen zu lassen. Angesichts dieser Privilegien habe ich kein Recht, mich zu beschweren.«
»Vielleicht könnte ja meine Cousine was sagen.« Richard nippte an seinem Kaffee und schaute versonnen zu den beiden jungen Leuten hinüber, die sich gerade küßten.
»Sag bloß, du hast mir verschwiegen, daß du japanische Verwandte hast«, neckte ich ihn.
»Nein, aber meine Cousine Lila macht Kurse an der Kayama-Schule. Sie ist schon vor einem Jahr hierher gekommen, aber da hast du ja nur Augen für den schönen Hugh gehabt, und ich konnte sie dir nicht vorstellen.«
»Lila Braithwaite? Die Vorsitzende der Vereinigung ausländischer Studenten? Ihr seht euch aber nicht sonderlich ähnlich.« Ich beschloß, mich nicht von seiner Anspielung auf Hugh provozieren zu lassen.
»Ihr Vater ist Frankokanadier. Sie hat die dunklen Haare, die Größe und die Vorliebe für Hermès-Tücher von ihm geerbt. Außerdem hat sie drei kleine Kinder, die ich sehr mag. Sie bittet mich immer, auf sie aufzupassen, wenn das Kindermädchen es nicht mehr packt.«
Ich hatte nicht gewußt, daß Richard eine Begabung als Babysitter besaß, aber angesichts seines verspielten Wesens konnte ich ihn mir in dieser Rolle gut vorstellen. »Was hat Lila dir denn von der Kayama-Schule erzählt?«
»Lila hat gleich, als sie hergekommen ist, mit Ikebana angefangen. Ihr Mann ist ein ziemlich hohes Tier in einer kanadischen Stahlfirma, also muß sie den Vorsitz bei allen möglichen Frauenausschüssen übernehmen. Aber dafür, daß sie in den Kreisen wohlhabender Ausländer verkehrt, ist sie gar nicht so übel. Sie geht ziemlich oft einkaufen.«
»Auch Antiquitäten?«
»Die haben ein Budget für die Lebenshaltungskosten. Natürlich kauft sie Antiquitäten. Du solltest sie einfach mal drauf ansprechen.«
Das war ein guter Vorschlag. Leute, die noch nicht so lange in Japan lebten, waren gute Kunden, weil in ihren Wohnungen noch nicht so viele Möbel standen und die Firmen, für die sie arbeiteten, Neuanschaffungen oft großzügig bezuschußten. Bei Hugh war es genauso gewesen, und ich hatte aus seiner Wohnung ein richtiges Schmuckstück gemacht. Als er sie aufgab, hatte er mich gebeten, alles zu verkaufen, und das Geld dann nicht angenommen. Da ich es nicht übers Herz gebracht hatte, es auszugeben, hatte ich es in amerikanische Aktien investiert. Das war eine kluge Entscheidung gewesen. Doch je mehr die Kurse stiegen, desto trauriger wurde ich.
Am nächsten Morgen sprach ich auf Lila Braithwaites Anrufbeantworter, daß ich ihr eine interessante Auswahl japanischen Porzellans anbieten könne. Hinterher rief ich einen Händler wegen einer bevorstehenden Auktion an. Als es auf der anderen Leitung klingelte, ging ich ran.
»Meine liebe Nichte!« Es war Tante Norie.
»Kann ich dich zurückrufen? Ich habe gerade ein geschäftliches Gespräch auf der anderen Leitung. Bist du zu Hause?« Ich kannte den Tagesablauf meiner Tante ziemlich gut, und da es erst neun Uhr morgens war, hatte sie wahrscheinlich noch nicht die Wäsche zum Trocknen in den Garten gehängt.
»Du willst also nicht mit mir reden.« Ihre Stimme kippte. »Nun, das kann ich verstehen nach meinem jämmerlichen Auftritt gestern! Wahrscheinlich willst du jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben.«
Ich bat Norie dranzubleiben und beendete rasch mein Gespräch mit dem Händler. Als ich den Hörer wieder in die Hand nahm, klang sie ein wenig fröhlicher.
»Rei -chan, wir werden die Sache wieder ins Lot bringen. Heute nachmittag werden wir in die Kayama-Schule gehen und Mrs. Koda und Sakura Sato Geschenke überreichen. Das müssen wir tun. Die Schule wird ihre
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