Mariannes Traenen
K APITEL 1
„Morgen, Lukas!“
„Guten Morgen, Frau Heumader!“
„War was?“ Sie kam zu ihm hinter den Tresen der Rezeption, warf ihre Schlüssel auf den Schreibtisch und stützte eine Hand auf seine Schulter, während sie sich vorbeugte und einen Blick auf das Journal am Bildschirm warf.
„Nicht s Besonderes“, antwortete Lukas. „Mecker von den Riedmüllers auf eins-sechzehn. Gestern, viertel nach acht. Konnten irgendeins von ihren Piefke-Programmen nicht gucken. So ‘n dämlichen Alt-Oma-Quiz. Konnte ich ihnen aber nicht richten; der Sender ist scheint’s gar nicht auf Kabel geschaltet.“
Sie schubste ihn an der Schulter, während sie sich aufrichtete. „ Lukas! Eine andere Ausdrucksweise bitte, ja? Wenn dich die Gäste hören!“
„Jawohl, Chefin !“, rief Lukas keck und fuhr sich mit der Hand durch die Gel-gestärkte Haartolle.
„Sonst war nichts?“
„Melde gehorsamst : Das Nein , Frau Chefin!“ Lukas knallte hingefläzt, wie er da saß, unter dem Schreibtisch die Hacken zusammen.
„ Dummer Junge! Wie weit ist Elsa?“
„Frühstück läuft. S chmeißt sie alleine. Die Grobleitnerin hat’s heim g‘schickt. Acht senile Bettflüchtlinge – die schafft sie alleine.“
„ Aua!“, rief er gleich darauf mit gespielter Empörung. Marianne hatte ihm spielerisch einen Klaps in den Nacken verpaßt. „Lehrlinge verhauen ist verboten!“, beschwerte er sich. „Und Nachtschicht gleich sowieso …“, maulte er leise hinterher.
„Beschwer dich nicht !“, entgegnete sie leise. „Geht nun mal nicht anders. Aber ich weiß scho‘, was d‘meinst.“
„Saure Gurken. Mit Essig “, kommentierte er altklug.
Es war die erste Oktoberwoche. Die Sommersaison in diesem Jahr war nicht gut verlaufen. Sie hatten kaum den Umsatz des Vorjahrs einstellen können; dabei hätte der Heumaderhof eine Umsatzsteigerung dringend gebrauchen können. Die Kosten für die Renovierung des Wellness-Bereichs im vergangenen Jahr drückten schwer auf die Bilanz, und die staatliche Förderung dafür war mager ausgefallen, viel magerer als Marianne es sich erhofft hatte. Am 20. würden sie schließen. Fast zwei Monate Ferien bedeutete das, bis dann um die Weihnacht der Ski-Zirkus anlaufen würde. Und dieses Jahr wäre es richtiger Urlaub. Keine großen Renovierungen, keine Handwerker, die es zu beaufsichtigen galt, kein Baulärm – einfach nur Urlaub. Wahrscheinlich würde sie für ein, zwei Wochen in den Süden fahren. Nach Andalusien vielleicht, denn diesen Landstrich hatte sie in ihr Herz geschlossen. Besonders liebte sie den Wind, wie er nur dort so stark und stetig vom Meer herauf wehte. Acht Gäste hatte sie noch, vier ältliche Paare aus Deutschland. Rentner, die sich die Hauptsaison nicht leisten konnten oder wollten, und denen das kühle Wetter um diese Jahreszeit gerade recht war.
„Kann ich jetzt endlich heimgehen, Chefin? Bin hundemüde.“
„Ist Kathrin schon da?“
Lukas schüttelte den Kopf und raffte sich aus dem Stuhl. Er streckte sich, gähnte und rieb sich dabei den Nacken. „ Nö. Heute noch nicht gesehen. Die junge Frau Gruberin kommt bestimmt mal wieder erst über der Zeit.“
Marianne legte die Stirn in Falten und stöhnte verärgert. „Dann muß ich dich leider bitten, noch so lange hier zu warten, bis ich meine Runde gemacht habe.“ Lukas grunzte verächtlich durch die Nase.
„Bitte, Lukas ! Ich weiß!“
„Ja -ja“, brummelte er mißmutig. „Ist ja schon gut. Aber jedesmal, wenn die gnädige Frau Juniorchefin nachts auf der Piste versumpft, muß ich hier nachsitzen. Bin ja nur der Lehrbub …“
„Lukas, bitte! “
„ Ist ja schon gut, Chefin. Ich bleib ja da.“
„Damit wenigstens ein Mann im Haus ist … in derer ganzen Weiberwirtschaft!“, schob er augenblicklich grinsend hinterher mit einer Geste, die wohl eine ritterliche Verbeugung sein sollte.
„ Du und a Mo‘? Na, da woart’st aber noch a Oizerl! “ Marianne versuchte ein Lachen, aber der Ärger war ihr trotzdem anzusehen. Eigentlich hätte ihre Tochter längst hier sein und die Rezeption übernehmen sollen. Wahrscheinlich war sie noch nicht einmal aus dem Haus gegangen, sondern saß noch mit ihrem Mann am Frühstückstisch, drüben im Gruberhof, und hatte nicht die geringste Eile. Fußläufig waren es ja nur fünf Minuten, aus denen bei Kathrins Zeitrechnung aber nicht selten mal eine halbe Stunde Verspätung wurde.
„Dauert ja n ed lang. Ist doch nur noch Küche und Restaurant.“
„ Ja-ja, baßt
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