Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
Vom Netzwerk:
fühlt. Er ist einfach unglücklich, verstehen Sie? Tief unglücklich. Und wie die Leute im Dorf mit ihm umgehen … das ist mehr als Diskriminierung, das ist … in vielen Köpfen ist das Mittelalter leider noch lange nicht überwunden.«
    »Gilt aber nicht nur für Dorfbewohner. – Er wird also angefeindet?«
    »Was denn sonst!«
    »Haben Sie das schon mal erlebt?«
    »Glauben Sie, die Leute gehen ihn an, wenn er in Begleitung ist?«
    »Was Sie und ich glauben, spielt keine Rolle, Frau Simmerau.«
    »Jämie belügt mich nicht!«, stieß sie, eine Fahne sprühenden Speichels in die Luft blasend, empört aus. »Ich kenne ihn gut genug, um das sicher sagen zu können!«
    Waren das die funkelnden Blicke einer Frau, die sich vor ihren bedrohten Schützling stellt? Loderte da das Fieber einer Dame, das sich an dem bedeutend jüngeren Adonis Jämie entzündet hatte?
    »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Frau Simmerau, aber ist es nicht ein bisschen gewagt, wenn Sie sich für einen Menschen, den Sie nicht so oft gesehen haben, so weit aus dem Fenster lehnen?
    »Nein. Ich kenne ihn. Und zwar sehr genau.«
    War das Naivität oder Ignoranz? Oder beides in trauter Eintracht mit Blindheit? Ihm fiel das Motto seines letzten Seminars ein: Glaube dem, der nach der Wahrheit sucht, misstraue aber jenen, die überzeugt sind, sie gefunden zu haben.
    »Sie scheinen ihm sehr zu vertrauen.«
    »Ich habe keinen Grund, es nicht zu tun.«
    »Heißt das, Sie sind mit ihm intim?«
    Die durchgekneteten Gummihandschuhe fielen auf den Kies. Frau Simmerau bückte sich, ergriff sie und richtete sich ruckartig wieder auf. Im Gesicht eine Röte, die auch von der abrupten Bewegung herrühren konnte. Oder auch nicht, dachte Lorinser und verspürte gegen alle Neutralitätsgebote eine gewisse Genugtuung, als die Frau ihm ein wütendes »Das ist ja unerhört!« entgegenschleuderte. »Mein Privatleben ist einzig und alleine meine Sache!«
    »Selbstverständlich, und entschuldigen Sie bitte«, sagte Lorinser, ob der Heftigkeit ihrer Reaktion überrascht. »Können Sie mir denn sagen, ob Böse Ihnen von seinen Vaterschaftsproblemen erzählt hat?«
    »Stellen Sie sich vor, er hat! Aber sein Problem ist nicht die Vaterschaft, sein Problem ist, dass dieses Weibstück angestiftet wurde, sich von ihm schwängern zu lassen! Diese Bersenbrück, die ist durch sämtliche Betten des Dorfes gehüpft! Da versprach sich jemand ein sorgenfreies Leben, sonst nichts. – Oder würden Sie sich einen unehelichen Balg unterjubeln lassen?«
    »Ich hätte in Kondome investiert«, sagte Lorinser und zog seine Zigaretten hervor. »Aber es geht nicht um mich. Ich wüsste gerne, wohin Böse gefahren ist. Hat er Ihnen ein Ziel genannt?«
    Ihre missbilligenden Blicke deuteten Fundamentalismus auch gegen Raucher an. »Nein«, platzte es über ihre Lippen. »Mir hat er gesagt, dass er heimfahren will. Ich hatte und habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Vielleicht hat er ja einen Unfall gehabt oder … woher wissen Sie eigentlich, dass er verschwunden ist? Von seinem Vater?«
    »Dienstliche Erkenntnisse«, sagte Lorinser und zeigte lächelnd die Innenfläche seiner rechten Hand, »sind einzig und alleine Sache der Polizei.«
    Sie starrte ihn an. »Und was ist jetzt mit Jämie?«
    »Das wird sich hoffentlich bald herausstellen«, sagte Lorinser und zündete sich die Zigarette an. »Vielen Dank jedenfalls.«
    Gertraude Simmerau blickte ihm bewegungslos nach, bis sie aus dem Blickfeld seines Rückspiegels verschwand.

3
    »Ach Lorinser, Lorinser! Wie lange sind Sie jetzt bei uns?«
    »Vierzehn Tage, Herr Kriminalrat.«
    »Vierzehn Tage?« Timmermans seufzte, als säße ein vom Tode gezeichnetes Kind vor seinem wohl geordneten Schreibtisch. »Vierzehn Tage und schon beschwert man sich über Sie. Haben Sie eine Ahnung, wie lange es bei mir gedauert hat?«
    »Mit Raten habe ich es nicht so.«
    »Ich will’s Ihnen sagen: Zweiundzwanzig Jahre Dienst und keine einzige Beschwerde!« Seufzen. Sein akkurat gespitzter Bleistift hämmerte auf die polierte Schreibtischplatte. »Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass ich einer anderen Generation angehöre, vielleicht sogar einer anderen Welt. Keiner besseren, das will ich nicht behaupten, aber einer, in der die Regel noch Regel war. Mein Vater sagte immer: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. – Gehen mit Ihnen öfter mal die Pferde durch?«
    »Eigentlich nicht«, sagte Lorinser und bemühte sich vergebens, die von Kriminalrat

Weitere Kostenlose Bücher