Bitteres Rot
Idealismus geschehen war, sondern aus der Überzeugung, dass der Krieg ohnehin verloren war, schien nebensächlich. Ohne es zu wollen, war Tilde zum Symbol seines Wunschtraumes geworden. Jetzt hatte sie ihn in der Hand. Sie war am Ziel. Greta würde sich um das Kind kümmern, jedenfalls so lange, bis der Hauptmann nach Deutschland zurückkehren würde.
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Es war Walden in Wehrmachtsuniform, die »Chauffeuruniform« hatte sie immer gespottet. Er trug einen kleinen Lederkoffer in der Hand. Hessen sagte auf Deutsch, er solle schon zum Wagen gehen, Tilde würde bald nachkommen. Der Adjutant nahm die Anweisung entgegen, salutierte und verließ das Zimmer. Die Tür ließ er offen. Hessen versuchte es noch einmal: »War das dein letztes Wort?«
|252| Aus der Tiefe ihrer Seele stieg Mitleid auf, die sie im Keim erstickte. Sie wunderte sich über die vertrauten Worte, die wie von selbst über ihre Lippen kamen: »
Addio, Capitano
. Wie wirst du jetzt deine Nächte verbringen, im Kino oder bei einer Partie Rommé?«
Hessen lächelte, einen Augenblick flackerte Hoffnung auf einen Sinneswandel auf. »In den nächsten Tagen zeigen sie im Odeon einen deutschen Film im Original.«
»Gehst du hin?«, fragte sie beiläufig, als wäre sie schon weit weg.
»Natürlich«, antwortete er und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Dann viel Spaß«, sagte Tilde, steckte einen Finger unter den Hosenträger seiner Uniformhose und ließ ihn schnalzen. »
Auf Wiedersehen, mein Hauptmann.«
Der Deutsche sah ihr nach, wie sie den Korridor hinunterging. Die bis auf den Rücken fallenden nachtschwarzen Haare bildeten einen faszinierenden Kontrast zu dem türkisfarbenen Kleid. Dann trat er ans Fenster. Walden öffnete die hintere Wagentür und Tilde stieg ein. Kein Blick zurück, dazu fehlte ihr der Mut. Die gebräunten Waden und die blauen Spangenschuhe waren das Letzte, was er von ihr sah. »
Auf Wiedersehen, Fräulein «
, lag auf seinen Lippen.
|253| Anmerkung des Autors
Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden, während der historische Hintergrund, die Orte und die eine oder andere Person Realität sind. Hervorzuheben sind die Partisanen Giacomo Buranello, Andrea »Elio« Scano, Andrea »Fulvio« Bottaro und Sergio Fallabrino. Auch die
leggeroni
sind ein wichtiger Teil der Geschichte des Widerstands in Sestri.
Tildes Nachbarin Maria war meine Großmutter. Ihre Tochter, die junge Frau »mit den verwuschelten braunen Haaren«, die Tilde vor dem Luftschutzbunker getroffen hat, war meine Mutter und der Arbeiter, der ihr vor dem Werkstor bei Fossati von den gehissten Fahnen erzählt hat, mein Vater. Geheiratet haben die beiden im August 1943.
Das Bombardement der angloamerikanischen Flugzeuge, auf das im Roman Bezug genommen wird, hat am 11. März 1944 stattgefunden. Auch der Raub der Filmrolle eines deutschen Propagandafilms im Vorführraum des Vittoria-Kinos hat sich wirklich zugetragen. Fakt ist auch das Hissen der beiden Fahnen, die wahrscheinlich zwischen Ende März und Anfang April 1944 auf der faschistischen Parteizentrale wehten. Das Attentat auf das Odeon-Kino in der Via Vernazza wurde am 15. Mai 1944 |254| von der GAP verübt. Als Vergeltung für diesen Anschlag wurden kurz darauf 59 politische Häftlinge ohne Prozess hingerichtet, was als »Massaker am Turchino-Pass« in die Geschichte einging.
Bruno Morchio
Informationen zum Buch
1944. Italien unter deutscher Besatzung. Von den Bergen aus organisieren die Partisanen den Widerstand. Frauen spielen dabei eine gefährliche Rolle: Heimlich bringen sie ihnen Nachrichten, gefälschte Dokumente, Lebensmittel, Medikamente, Geld. Eines Nachts wird die1 9-jährige Tilde dabei von einer Patrouille der Wehrmacht geschnappt. Die staffetta hat Glück: Beim Verhör in der Genueser Kommandantur gefällt sie dem Besatzungsoffizier so sehr, dass er sie laufen lässt. Das bringt die Widerstandskämpfer auf eine Idee: Die junge Fabrikarbeiterin soll ihm entlocken, wer der Spitzel in ihren eigenen Reihen ist…
Rund 65 Jahre später soll Bacci Pagano den italienischen Stiefbruder eines deutschen Professors suchen. Viele Informationen kann Kurt Hessen dem Genueser Privatdetektiv nicht bieten: Er weiß nur, dass seine Mutter Nicla hieß und sein Vater, ein Wehrmachtsoffizier, bei einem Partisanenanschlag auf ein deutsches Soldatenkino ums Leben kam…
Informationen zum Autor
Bruno Morchio ,
geboren 1954 in Genua, hat Psychologie und
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