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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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gerade die Kurve genommen, als vor ihr die Hölle losbrach. Gleißend helles Licht und barsche Befehle in deutscher Sprache ließen sie abrupt innehalten. Zwei, drei, vier Scheinwerfer durchschnitten die Dunkelheit und |10| trafen sie mit der Wucht einer Maschinengewehrgarbe. Geblendet konnte sie weder die Männer noch ihre Fahrzeuge erkennen. Sie stieg vom Rad. Als ihre Schuhe den Boden berührten, spürte sie wieder den Schmerz unter dem linken Fuß. Sie zitterte am ganzen Körper, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Zwei Gestalten traten aus dem Licht, die eine in graugrüner Uniform, die andere in Zivil. Der blutjunge schmächtige deutsche Soldat beachtete sie kaum. Doch seine Frage kam scharf wie ein Peitschenhieb. »Sprechen Sie deutsch?« Mehr sagte er nicht.
    Sie schüttelte den Kopf und der Deutsche wandte sich dem Mann in Zivil zu, der einige Schritte hinter ihm stand. Als er näher kam, erkannte sie ihn. Es war Maestri, ein Beamter der Polizia Politica mit dem Spitznamen
s trap
paunghie . Der »Nagelausreißer« war bekannt für seine »todsicheren« Methoden, Partisanen zum Reden zu bringen. Ständig hatte er in der Questura zu tun oder tauchte im Studentenwohnheim auf. Wer ihm entronnen war, berichtete von seinen Gräueltaten. Viele hatten mit eigenen Augen gesehen, wie er seine Opfer zu Tode gefoltert hatte. Der Deutsche, wohl ein Unteroffizier, behandelte Maestri ohne jeden Respekt, wie einen Untergebenen. Er führte das Wort, Maestri gehorchte ohne Widerrede.
    »Was hast du um diese Zeit hier oben zu suchen? Weißt du nicht, dass totale Verdunklung angeordnet ist?« Maestri zeigte dabei auf das Vorderlicht des Fahrrads, das inzwischen erloschen war. Der Soldat fluchte, zog seine Pistole aus dem Halfter und zerschlug mit dem Knauf das Lampenglas. Maestri bemerkte willfährig: »Jedes noch so schwache Licht kann gefährlich sein. Schon die reichen aus«, fügte er hinzu und deutete auf die weißen Streifen auf dem schwarzen Fahrradrahmen.
    Sie erschrak und öffnete langsam die Tasche, um zu zeigen, was sie vorhatte: »Ich bin auf dem Weg zu meiner |11| Tante. Sie ist alt und krank und kann nicht mehr aus dem Haus. Ich wollte ihr das hier bringen.«
    Ein Körnchen Wahrheit tat gut, auch wenn es nur dazu diente, eine große Lüge zu vertuschen.
    Maestri übersetzte und der Deutsche murmelte etwas, das sie nicht verstand.
    »Wir überprüfen das. Papiere!«, befahl Maestri.
    Sie zog das abgegriffene Lederetui aus der Manteltasche und reichte ihm ihren Werksausweis. Inzwischen hatte sie sich an das helle Licht gewöhnt. Jetzt erkannte sie weitere deutsche Soldaten, die Waffen im Anschlag. Sie hörte das Geräusch der laufenden Motoren ihrer Motorräder mit Beiwagen. Im Hintergrund blockierten ein Mannschaftswagen und eine schwarze Limousine die Straße.
    »Du arbeitest bei Fossati?«, fragte Maestri, während er ihre Papiere studierte.
    »In der Kantine.«
    »Wann ist deine Schicht zu Ende?«
    »Um drei.«
    »Warum bist du dann nicht am Nachmittag zu deiner Tante gefahren?«
    Zu ihrer Angst gesellte sich Wut.
    »Wäre ich schon, wenn ich Zeit gehabt hätte, oder?«
    »Wer weiß, was du so Wichtiges zu erledigen hattest.«
    Maestri musterte sie von oben bis unten. Sein Blick war bedrohlich und anzüglich zugleich. Er steckte den Ausweis ein, dann wandte er sich wieder an den Deutschen. Die beiden sprachen kurz miteinander. »Mitkommen!«, wies der Polizist sie dann lapidar an.
    Der Unteroffizier erteilte knappe Befehle. Ein Soldat entriss ihr das Fahrrad, schob es bis zum Mannschaftswagen und warf es auf die Ladefläche. Tilde wurde zu der schwarzen Limousine gebracht, wo sie sich neben Maestri auf die Rückbank setzen musste. Der junge Deutsche |12| nahm vorne neben dem Fahrer Platz. Der Wagen fuhr an. Plötzlich spürte Tilde, wie sich die Hand des Polizisten zwischen ihre Beine schob und entlang der dicken Wollstrümpfe bis zu ihren nackten Oberschenkeln glitt. Sie kniff die Beine zusammen, Ekel stieg in ihr auf. Sie dachte an Sandra. Sie war vor einem Monat geschnappt worden, als sie einem Partisanen, der sich in Coronata versteckt hielt, eine Nachricht überbringen wollte. Man hatte sie in die Deutsche Kommandantur gebracht, seither hatte man nichts mehr von ihr gehört. Es hieß, man habe sie nach Deutschland deportiert, aber wer weiß, ob sie überhaupt noch am Leben war. Sie dachte auch an Mariù, genannt
la maîtresse
, die immer wieder verletzten oder verfolgten Partisanen Unterschlupf gewährt

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