BitterSueß
dass es immer wieder erotische Zwischenfälle beim Projekt gab. Ein paar davon hatte ich am Rande ja schon mitgekriegt. Es gibt nicht viel, was der Sekretärin in einem Job wie diesem verborgen bleibt.
Auf die Bemerkung meines Chefs etwas zu erwidern, schien mir überflüssig, und er erwartete auch keine Antwort.
Ein langer Tag lag wieder vor uns, und dabei konnte ich es heute kaum erwarten, nach Hause zu fahren, um mit meinem ureigenen kleinen Projekt zu beginnen: dem Tagebuchschreiben!
30. Oktober 2002
18.30, auf der Fahrt von Frankfurt nach Mannheim.
Im Zug schrieb ich immer am liebsten. Ich suchte mir einen möglichst ruhigen Zweier-Platz im Großraumwagen des ICEs, setzte mich ans Fenster, zückte mein Notizbuch und legte los, während die rasende Metallröhre unter mir und um mich herum sanft ratterte und vibrierte und die Landschaft draußen vorbeiflitzte.
Unweigerlich werden die meisten meiner Tagebuchnotizen im Büro spielen, beim Projekt – wie schon mein Highlight mit Frankie zeigt – finde ich zurzeit die einzigen einschlägigen Kontakte. Denn mein Privatleben gleicht einer sehr dünnen Käsescheibe auf einem mageren Vollkornbrötchen. Ohne Butter. Zieht man einmal meine ehrenamtliche Tätigkeit im Frauencafé »Weibernest« ab, siehts noch kümmerlicher aus. Ich bin eine Single-Frau mit Katze, und QUASI, »das Projekt«, verschlingt mich geradezu, ein 12–14 Stunden-Arbeitstag ist normal.
Meine Chefs und Kollegen. Nicht wenige von ihnen sind goldig, doch nur einige sind wirklich relevant für das Erotische, dem ich als stets ausgehungerte Füchsin nachstelle.
Herrn Wild, einen der höheren Chefs, nenne ich nur ACW nach seinem Kürzel; er ist klein und rattenflink, dazu energiegeladen und jähzornig. Auch ich geriet heute kurz in seine Feuerlinie, er fuhr mich an wegen einer Folie, die ich noch nicht gezogen hatte – ich wusste weder, dass sie für ihn bestimmt war, noch, dass sie so eilig sein sollte. Ich blieb ganz ruhig, während er schäumte. Drolligerweise ist er der einzige, auf den ich total abfahre – ganz zuallererst war er mir nicht sympathisch gewesen, dann schaute ich schärfer hin und nahm seine interessante sexuelle Ausstrahlung wahr, anders lässt es sich nicht beschreiben. Ein Glück, dass er nicht nett ist!
Lenk nicht ab, weise ich mich schreibend selbst zurecht, was war letzte Nacht? Was hat dir die Nummer mit Frankie gebracht? Ein bisschen Lust, klar. Einen recht anständigen, sagen wir einen mittelmäßigen Orgasmus, und doch ist dieser quälende, sich immer wieder unterschwellig in mir ausbreitende Hunger ungestillt geblieben. Ich ahne einfach, dass es mehr geben muss. Und mich beunruhigen diese Phantasien. Ich meine, ich habe eigentlich kaum mit Frankie selbst geschlafen, letzte Nacht, sondern ein geiles Phantasieerlebnis mit dem namenlosen Hotelkellner gehabt. Im Grunde war Frankie nur ein Objekt für mich gewesen, kein Wunder, dass ich so gut wie nichts für ihn empfand. Das Komische ist bloß, dass ich mich auch in den Kellner nicht etwa verliebt habe! Nein, es ist komplizierter. Verflixt. Das ist ganz schön anstrengend, dies aufzudröseln. Der Reihe nach geht es bestimmt am besten.
Ich blende mal zurück zu dem Moment, da ich mir vorstellte, der gut aussehende Kellner folgte mir, sei dicht hinter mir, so dicht, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spürte. Schon bei dieser Vorstellung überlief mich ein leiser wohliger Schauer. Er flüsterte mir Anweisungen zu. Er wollte, dass ich es Frankie besorgte (und es mir von ihm machen ließ) aber genau nach seinen Wünschen – und eben das fand ich total antörnend. Das allein spornte mich so an, dass ich tropfnass wurde und Frankie und ich beide ein geiles Erlebnis hatten. Es hatte so gut wie nichts mit Frankies Loverqualitäten zu tun.
Denn die ganze Zeit trieb ich in meinem eigenen Phantasiefilm, und zwar so intensiv, dass ich des Kellners schattenhafte Präsenz förmlich zu spüren meinte, manchmal sogar seine korrigierenden Hände auf mir fühlte, wenn er mir zeigte, wie ich Frankie zu blasen hatte … WIESO um alles in der Welt brauchte ich so etwas?? War das nicht ein bisschen krank? Oder sogar mehr als ein bisschen?
Eins steht fest: meinen Freundinnen im Weibernest brauche ich mit solchen Erzählungen nicht zu kommen. Die Feministinnen wären empört, die Lesben würden spöttisch lächeln, die Esoterikerinnen mich heilen wollen. Davon bin ich fest überzeugt.
Eben deshalb bleibt ja nur das Tagebuch …!
Der
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