Bittersweet Moon
für mich, ich gehörte zu den
Musikern, die schon mehrere Tage vor dem Auftritt nicht schlafen können, die an
den eigenen Erfolg nicht richtig glauben und die sich selber nicht zu gestehen
trauen, wie gut sie eigentlich sind. Diese innere Wandlung gefiel mir und ich
wusste, wie vieles ich davon Robin zu verdanken hatte.
Genauso,
wie er mir geholfen hatte, als Frau erotisch erwachsen zu werden und mir den
Zugang zu meiner noch unentdeckten Sexualität ermöglicht hat, zeigte er mir
auch als Künstlerin mein schlummerndes Potential, das ich so stiefmütterlich
behandelte und nicht richtig anerkennen wollte. Aus dem anfänglichen Wunsch,
Robin mit meinen musikalischen Fähigkeiten beeindrucken zu wollen und seine
Aufmerksamkeit zu wecken, entwickelte ich ein gesunder Ehrgeiz und ein
Verlangen nach Anerkennung für mich selber, ohne den Anderen gefallen zu
wollen. Mir wurde bewusst, dass ich am Samstag in erster Linie wegen der Musik
auf die Bühne gehen wollte, wegen der eigenen Befriedigung beim Singen und
nicht weil ich bestimmte Erwartungen zu erfüllen hatte.
Gut
gelaunt sprang ich aus dem Bett und versuchte nicht länger meine Aufregung
wegen Robins Besuch zu unterdrücken. Warum auch? Sie gab mir noch den
zusätzlichen Ansporn und Energiekick, die ich gut für meinen Auftritt verwenden
konnte. Ich hatte die besten Voraussetzungen für meine Rolle. Nicht nur, weil
ich bestens vorbereitet war und ich mich absolut sicher fühlte, ich war
körperlich und psychisch top in Form und dazu noch glücklich verliebt.
Später
zeigte sich die Sonne, die ich im dunklen Winter noch besonders willkommen
hieß. Vor offener Balkontür führte ich meinen Sonnengruß aus und während der
Yogaübung hielt ich mein Gesicht den ersten Sonnenstrahlen entgegen. Die
brannten nicht, sie verwöhnten mich mit lieblicher Wärme und ausgiebig tankte
ich noch zusätzlichen Optimismus und gute Laune. Hoch über mir zeichnete ein
aufsteigendes Flugzeug weiße Spuren in den wolkenfreien, blauen Himmel und
weckte in mir die Sehnsucht nach gemeinsamem Abheben mit Robin. Mein Leben
fühlte sich genau so weit, offen und einladend wie dieser kristallklare
Wintermorgen an. Ausgelassen grüßte ich mit dem uralten Ritual die Sonne und
mit jedem tiefen Atemzug ließ ich sie ganz in mich hineindringen. Mit der
Pranayama Atemtechnik absorbierte ich ihr matt goldenes Licht in jede Zelle
meines Körpers und speicherte die lebensspendende Energie als kostbare Reserve
für schlechtere Tage. Zwei abgemagerte Spatzen pickten die Körner aus dem
Vogelhäuschen auf der Balkonbrüstung und zwitscherten vergnügt dabei, ohne sich
von mir gestört zu fühlen. Ich wunderte mich schon, wann die Vögel mein Angebot
entdecken würden und der Anblick erfreute mich umso mehr. Ich fühlte mich so
lebendig und blühend wie im Mai und die schlafende, spärliche Natur um mich
bildete einen starken Kontrast zu meinem überschäumenden inneren Zustand. Als
ich zu frieren anfing, schloss ich die Balkontür, aber die Sonne blieb weiter
bei mir und begleitete mich mit ihren langen Fingern durch das Zimmer. Sie
leistete mir Gesellschaft bei dem späten Frühstück, wo sie schließlich ein
breites goldenes Band auf meinen Tisch drapierte. Das blieb auch dann noch dort
liegen, als die Sonne schon langsam über die Dächer weiter zog und ihren
höchsten Stand an diesem kurzen Dezembertag erreichte. Aus dem Radio auf meinem
Kühlschrank ertönte plötzlich Robins Band mit einem ihrer größten Hits, was
mich sofort zu einem euphorischen Freudentanz durch die Küche bewegte. Den Song
verstand ich als ein gutes Omen und das machte diesen Tag noch vollkommener.
Ich liebte mein Leben wie schon lange nicht mehr und als ich nachher den Staub
von meinem Altar wischte, lächelte mich die blauäugige Göttin noch lieblicher
an als sonst.
An
diesem Nachmittag hatte ich meine letzte Probe mit einem Durchlauf. Ich hoffte,
Frank würde seinen Spätdienst haben und so könnte ich alles Notwendige für
Robins Besuch am Samstag mit ihm besprechen. Frank war der Hauptpförtner in der
Hochschule und zu ihm hatte ich einen guten Draht. Seit einigen Jahren
verbrachte er seinen Urlaub in meiner Heimat und so hatten wir immer
ausreichend Gesprächsstoff. Oft gab ich ihm gute Tipps und
Besichtigungsvorschläge, wofür er mir in seiner bescheidenen Art sehr dankbar
war. Als ich durch die große Eingangstür eintrat, erblickte ich ihn zu meiner
Erleichterung. Er saß wie immer hinter seinem Pult und
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