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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Schwulst geschert und diese Vorhölle zum Paradies ganz und gar dem Auftritt ihrer Besucher selbst untergeordnet, die nicht überstrahlt werden sollten, sondern eingebettet in ein Understatement aus Holz, Stein und Stahl.
    Sándor steckte die Hände in die Hosentaschen – er war, wie er so seelenruhig am Straßenrand stand und den triumphalen Auftakt des Konzertabends begutachtete, eine lässige und elegante Erscheinung zugleich; die perfekte Mischung aus Flegel und Gentleman, wie er selbst wusste – und überquerte die Straße im gemäßigten Tempo des Flaneurs. Julian Fuhs und seine Combo hatten schon wegen der Musikinstrumente den Künstlereingang zu benutzen; er selbst bevorzugte den von zweitausend elektrischen Glühbirnen erhellten Haupteingang. Doch der livrierte Türsteher, der eben noch einem pummeligen Frackträger – von seiner weiblichen Begleitung um anderthalb Köpfe überragt und sicher doppelt so alt wie sie – die Schwingtür aufgehalten hatte, schob sich breitschultrig zwischen das blank gewienerte Messing-portal und Sándor. »Entschuldigen der Herr, bis 22 Uhr ist im Ballsaal Paartanz; ohne Begleitung können Sie heute nur die Bar am Nebeneingang …« – und Sándor blieb, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, vor dem Mann stehen und stieß nur ein knappes, raues »Paartanz?« hervor.
    Der Türsteher blickte mürrisch auf, erkannte Lehmann dann aber offenbar und riss mit einer gestammelten Entschuldigung eilig die Vier-Meter-Tür auf.
    Sándor atmete ungeduldig aus. Er kannte den Burschen; er kannte überhaupt Hunderte Menschen wie Fritz Hallstein, den kleinen Schmuckhehler, der tagsüber den Taschendieben die Ketten und Uhren abkaufte, die sie abends hier und anderswo mitgehen ließen. Für die Femina war der Mann eigentlich eine Katastrophe, und der Femina-Besitzer Liemann hätte sich für einen diesbezüglichen Tipp zweifellos erkenntlich gezeigt. Lehmann hatte dieses Erkenntlichzeigen bisher jedoch noch nicht in Anspruch nehmen wollen, also ließ er Hallstein, den er irgendwann mal in flagranti erwischt hatte, ein paar Jahre zappeln und sich selbst unterdessen eilfertig die Tür aufhalten.
    Â»Wer ist oben?«, fragte er Hallstein, ohne den gescheiterten früheren Preisboxer eines Blickes zu würdigen, und der Mann be eilte sich, all die Namen der Filmsternchen, mächtigen Männer und dubiosen Adeligen herunterzuhaspeln, die heute Abend schon das Grand Café durchquert hatten und jetzt oben im Ballsaal ihre Cocktails schlürften. Sándor kommentierte die Aufzählung nicht, schlenderte hinüber ins Café und genehmigte sich im perlenden Klang einer gläsernen Harfe einen Mokka und einen klirrend kalten grünen Escorial.
    Â»Schupo« hatte Bella, die neue Sängerin, ihn genannt, schon allein dafür würde er Hallstein, der nichts dafür konnte, gern in den Arsch treten – einfach, um überhaupt irgendwem in den Arsch zu treten. Sah man ihm den Bullen wirklich so sehr an? Manchmal erwischte Sándor sich dabei, wie er morgens unverwandt nackt vor dem Spiegel in der Kleiderschranktür stehen blieb und diesem Kerl, diesem Sándor Lehmann in der ovalen Scherbe auf der Türrückseite, in die zerknautschte Fresse starrte. Sah der Typ wie ein Bulle aus? Und wenn ja, was hätte er daran ändern können? Irgendwer hatte ihn in dieses Leben geschubst, es hatte wenig zu wählen gegeben, und was er wählen konnte, das wählte er mit weit offenen Armen.
    Der Abend nahm Fahrt auf. Die Herren Eintänzer wuselten um den Tresen herum und knurrten sich halblaut kleine Frechheiten zu. Sándor verzog ironisch das Gesicht. Das Gros dieser eitlen Fatzkes fassten die Frauen oben im Saal wirklich nur für das Kopfgeld an, das sie vom Management pro Tanz kassierten; jeder von ihnen war ein begnadeter Selbstdarsteller und modisch wie aus dem Ei gepellt. Haargel, aufgezwirbelte Schnurrbärte, gestärkte Hemdkragen: Während draußen die Straßen voller Lumpen waren, voller Hunger und Gewalt, wurde hier drin noch die Illusion männlicher Schönheit aufrechterhalten. Dabei waren einige dieser Burschen ausgemachte Halunken; mehr als einen von ihnen hatte er selbst schon an den Eiern gehabt, die geklauten Uhren und Ringe aus ihnen herausgeschüttelt für eine Information, für eine Indiskretion, eine Handvoll Bares. Deshalb machten

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