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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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hier zu sein, als Musik und Tanz zu genießen, er war vielleicht auf der Jagd, ermittelte. Bandmusiker hatte er dabei offenbar nicht im Visier, und Sándor war froh, dass es so war.
    Bella schien Lehmanns Blick gefolgt zu sein und hatte ebenfalls einen – allerdings gelangweilten – Blick auf Belfort geworfen, und während die Saxofonisten Sándors Rückkehr zum Thema des Songs aufnahmen und der Schlagzeuger das Tempo mit scheppernden Schlägen wieder antrieb, drehte sich Bella plötzlich um und strebte dem Ausgang zu. Auf der Tanzfläche setzte Bewegung ein; die innigen Pärchen wurden von Neuankömmlingen angerempelt, der Foxtrott nahm Fahrt auf, die Saalbeleuchtung flackerte wieder auf, und Julian schnippte mit den Fingern. »I’m lost without you«, skandierten die Saxofonisten im Wechsel mit ihren Instrumenten im Chor, »I’m lost without you«. Und auch Belfort wandte den Blick von der Tanzfläche und folgte Bella zur Treppe.
    Sándor beerdigte das Solo mit einem etwas hastigen, schrillen Schnörkel, drückte sich im Off an dem erstaunt kopfschüttelnden Julian vorbei, durchquerte die Künstlergarderobe, griff sich seinen Mantel und folgte Bella und Belfort, ohne recht zu wissen, wohin und wozu.

GAS
    Sándor Lehmann verließ den Ballsaal über die große Treppe. Sein eigener blonder, von ein paar grauen Flimmern durchzogener Lockenkopf auf dem kantigen Schädel überragte die Menge der treppauf strömenden Gäste. Noch immer drängte das Abendpublikum hinauf, in Tanzstimmung gebracht von den subtil angestrahlten Wandverkleidungen, dem Glas Champagner im Foyer, dem schmeichelnden Gesäusel des berlinernden Pianospielers, der noch immer unten neben der Garderobe populäre Liebesschnulzen zum Besten gab, die Frauen umgarnte und angurrte. Lehmann wich den Entgegenkommenden nicht aus; er ging ruhig die Treppe hinunter, und die Menge umflutete ihn wie Wasser ein Neptundenkmal – nur dass dieser Neptun hier den falschen Schnurrbart ins Futteral zur Klarinette gestopft hatte, das in der Innentasche seines Mantels steckte. Ein paar Wichtigtuer rempelten ihn an, nahmen aber von einer Konfrontation Abstand, als sie dieselbe Treppenstufe wie Sándor erreicht hatten und beim Maßnehmen feststellten, dass sie den Kürzeren ziehen würden gegen den hoch aufgeschossenen Polizeibeamten.
    Es war zu warm hier drin; das war Teil des Vergnügungskonzepts des Femina-Inhabers Heinrich Liemann. Wenn die Leute fröstelten, kam keine Stimmung auf; leichte Überhitzung erhöhte den Getränkeumsatz, machte leichtsinnig, lockerte die Krawatten und die Strumpfbänder. Liemann musste es wissen; er hatte das ruinöse Eden-Hotel wieder aufgemöbelt vor zwei Jahren; hatte die Cascade und die Rio Rita zu einem Erfolg gemacht und verhandelte angeblich eben über den Kauf des Münchner Hofbräu am Wittenbergplatz. Was Liemann machte, machte er richtig. Das Personal war anderer Meinung; man sprach von Hungerlöhnen, der dubiosen Herkunft von Fleisch, Schnaps und Barmädchen. Sándor Lehmann selbst hatte bei verschiedenen mehr oder weniger unangekündigten Besuchen sowohl das Fleisch als auch den Schnaps und die Barmädchen überprüft und – mit tatkräftiger Unterstützung von Heinrich Liemann selbst – allesamt sehr bekömmlich gefunden. Der Mann mochte ein mieser Boss sein und ein hinterlistiger Geschäftsmann, aber er wusste, was ankam. Bei jedem.
    Draußen in der Nürnberger Straße war der Abend kühler geworden; Sándor drückte sich seitlich an der langen Hausfassade entlang, um von Belfort oder Bella nicht gleich gesehen zu werden. Er fingerte in der Sakkotasche nach einer Zigarette, steckte das Ding aber nicht an, um durch das Streichholzaufflammen nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sondern behielt die Muratti zwischen den trockenen, schmalen Lippen. Sowieso hatte er mit der Raucherei vor zwei Jahren aufgehört, weil das Klarinettespielen ohne sie besser ging; eigentlich schleppte er das Zigarettenetui nur noch aus Gewohnheit mit sich herum. Man musste ja nicht gleich eine Leibesvisitation machen, wenn man mit dem Rauchen aufhörte.
    Trotz des Sternenhimmels war das Kopfsteinpflaster noch immer regenglänzend, und während die Säulen und Portale im Erdgeschoss hell angestrahlt waren, glänzten oberhalb die Stockwerk im nachtblauen Halbdunkel abweisend und

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