Black Bottom
Bella dem Kerl zu Hilfe, die sich umsah, ob die anderen Jazzer die Auseinandersetzung beobachteten, doch ringsum war die BegrüÃungsparty längst weitergegangen; zwei der Hostessen waren mit ein paar Flaschen Sekt hereingekommen, die Jenitzky vorhin auf Kosten des Hauses bestellt hatte, und das alkoholische Intermezzo interessierte die versammelten Musiker weit mehr als das Gerangel in der Raumecke. »Willst du dich in diesem Zustand mit einem Polizisten prügeln? Sándor hat dir etwas Wichtiges zu sagen, und wenn du danach noch ein Hühnchen mit ihm rupfen willst, dann werd erst mal wieder gesund ⦠So machst du doch alles nur noch schlimmer!«
Jenitzky hielt inne; der Kleinen konnte er keinen Wunsch abschlagen, sie war obendrein die Hauptperson heute Abend. Also schwenkte er seinen riesigen Ochsenschädel in Richtung Tür und bedeutete Sándor, ihm zu folgen.
»Los dann, Sie Held â wir sprechen drauÃen!«
Sándor war das offenbar recht, er zuckte zustimmend mit den Achseln und folgte ihm und Bella hinaus auf die StraÃe, während auch in das bunte Volk in den Künstlergarderoben langsam Bewegung kam, weil nun die ersten kleineren Ensembles, die Trios und Duos, für ihren Auftritt auf der Drehbühne herausgewunken wurden. Sándor und die beiden Jenitzkys kreuzten den groÃen Saal; auf der Bühne lief das Vorprogramm; eben kletterte der Ersatz-Ansager in einem knallroten Tuxedo auf die Bühne und hielt unter dem Applaus und frenetischen »Her damit!«-Sprechchören des Publikums die zehntausend Reichsmark Preisgeld hoch. Auch um die gläserne Badewanne herum war allerhand Trubel; rund zwanzig Sektsäufer hingen mit ihren langen Strohhalmen in der roten Brühe und versuchten mit beharrlichem Saugen, die süÃe Flut um die sich räkelnde Nackte zu reduzieren. Jenitzky schüttelte nachsichtig den Kopf; jedes Kind wusste, dass man höchstens mal âne Berliner WeiÃe mit dem Strohhalm trinken durfte â und da war kein Sprit mit im Spiel. Hier wurden die Burschen erst rot, dann blau, und jeder Zweite kippte schon nach den ersten apnoeschen Zügen rülpsend nach hinten und wurde sanft vom Personal an die Saalwand gelehnt.
Bella schob die beiden Kontrahenten durch den Künstlerausgang auf die schon dunkler gewordene StraÃe und huschte wieder zurück ins Saalinnere, bevor Jenitzky sie daran hindern konnte. Was hatte seine Tochter vor? Egal, jetzt wollte er erst mal diesem Polizeibeamten die Leviten lesen. Umso besser, wenn Bella das nicht mit ansah; das war eine Sache unter Männern. Aber der Polizeibeamte wollte sich nicht mit ihm schlagen, sondern redete im Stakkato auf ihn ein, packte alles aus, was er wusste â und auch wenn das nicht viel war, schien doch alles darauf hinzudeuten, dass die Sache mit Jenitzkys eigener Haftentlassung noch keineswegs beendet war. Der Kneipenkönig begriff, dass nicht nur er selbst eines unfassbaren Verbrechens beschuldigt worden war, sondern dass eine Neuauflage dieses Verbrechens tatsächlich genau jetzt und genau hier unmittelbar bevorstehen konnte.
»Jenitzky, wenn Sie einen Rest Ehrgefühl in Ihrem fetten Leib haben«, der Polizeibeamte hielt sich nicht mehr mit Höflichkeiten auf; und vielleicht hatten sie ja wirklich keine Zeit zu verlieren, »dann schwören Sie mir jetzt und hier auf der Stelle, dass Sie heute Nacht nicht Ihren eigenen Laden mit einer Gasbombe hochgehen lassen wollen, um eine dicke Versicherungssumme einzusacken. Sie kämen nicht durch damit, glauben Sie es mir. Ob Sie die Femina auf dem Gewissen haben oder nicht: Wenn hier heute Nacht etwas passiert, dann kaufe ich Sie mir, das schwöre ich beim Leben Ihrer Tochter.«
Lehmanns Worte hatten Jenitzky dicke SchweiÃperlen auf die Stirn getrieben, und die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Er war verunsichert; vielleicht schwebten sie wirklich alle in tödlicher Gefahr â aber trotzdem sollte dieser Polizeispitzel, der als Jazzmusiker verkleidet war, nicht so von seiner Tochter reden, er verbat sich das.
»Wo steckt Bella überhaupt?«, wollte er wissen.
Der Polizist stöhnte.
»Da sprechen wir schon über das zweite Problem, das ich habe: Ihre Tochter. Ich werde nicht schlau aus ihr, sosehr ich das auch versuche. Sie selbst haben ja für den heutigen Abend mächtig die Reklametrommel gerührt und sind vielleicht überzeugt, mit dieser Resonanz auch in
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