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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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kleine Hand, die ihn schon anders berührt hatte als jetzt und hier. Zügig umrundeten sie die Drehbühne und verschwanden im dunklen Gang, der zu den Künstlergarderoben führte.
    Bella hatte Recht gehabt, fand Sándor, der Alte sah mit seinen Pflastern und Verbänden zwar aus wie ein Schaffner, der aus dem Schnellzug gefallen war, aber die Stimme hatte er wiedergefunden, seine joviale, großspurige Stimme, und die machte den ersten Eindruck schnell wett. Jenitzky polterte durch die hoffnungslos überfüllten, durch allerhand Flure und Kammern vergrößerten Künstlergarderoben wie der Weihnachtsmann, voller kindlicher Vorfreude und organisatorischem Übereifer. Bella hatte mit aller Überzeugungskraft mühsam verhindern können, dass ihr Vater zwischen den einzelnen Auftritten den Conferencier gab, aber hier hinter der Bühne hatte er einen großen Auftritt, schüttelte Hände, begrüßte alte Bekannte und benahm sich insgesamt so, als wären nicht Widmann, Candrix oder Fuhs die Favoriten des Abends, sondern er selbst. Immerhin war Jenitzkys gute Laune ansteckend, und es war schon ein besonderer Anblick, den dicken Mann mit seinen Verbänden und dem extraweiten silbernen Smoking zwischen all den schwarz befrackten, beschwingt lachenden und scherzenden Jazzmusikern herumscharwenzeln zu sehen. Bella schien für einen Moment die schlechten Nachrichten zu vergessen, die Sándor überbracht hatte, und mischte sich unter die gut gelaunte Gruppe, und auch Sándor selbst begrüßte die »Follies« und einige Kollegen aus anderen Orchestern mit einer ungespielten Herzlichkeit. So selbstverliebt und trendbewusst die Bandleader auch sein mochten, die Jazzszene Berlins war alles andere als verfeindet – und auch wenn es heute Abend um einen enorm hohen Hauptpreis ging, für den jede der Kapellen sich musikalisch selbst übertreffen würde, klopfte man sich gegenseitig auf die Schultern, wünschte sich Glück und gratulierte einan der zu den neuesten Schallplattenaufnahmen und Arrangements. Für Julian Fuhs’ Vorschlag, den Abend nicht nur mit einem erneuten Auftritt der Siegercombo zu beschließen, sondern noch einmal mit allen Teilnehmern die Drehbühne zu entern und gemeinsam einen Song zu spielen, den alle kannten – »Puttin’ on the Ritz« vom unvergleichlichen Irving Berlin, noch einem amerikanischen Russen übrigens –, gab es regelrecht stehenden Applaus.
    Jenitzky strahlte glücklich in die Runde, er fühlte sich, als wären all diese jungen Jazzer seine leiblichen Kinder, die sich zu seinem Geburtstag eine gemeinsame Aufführung ausgedacht hatten. Doch dann fiel sein Blick auf Sándor, und seine Augenbrauen zogen sich erstaunt in die Höhe. Traute sich dieser Bursche tatsächlich noch hierher, der verkappte Bulle, der ihm die langwierigste Tracht Prügel seines Lebens beschert hatte, während er selbst nur einen einzigen gestreckten Faustschlag abbekommen hatte – bisher jedenfalls? Jenitzky schnaufte und machte ein paar schwere Schritte auf Sándor zu. Es war höchste Zeit, die Bilanz auszugleichen, allerhöchste Zeit.
    Doch der Bulle schien schon eine Ahnung gehabt zu haben, dass ihr Wiedersehen unter keinem guten Stern stehen würde, und wich ein paar Schritte zurück. Hier in der engen Künstlergarderobe gab es nur wenig Bewegungsspielraum; Jenitzky war sich seiner eigenen Überlegenheit deutlich bewusst und hätte den aufdringlichen Polizeibeamten am liebsten an der Wand zwischen dem Kostümschrank und dem albern dekorierten Schminkspiegel platt gedrückt – die Dienstmarke zücken, den Polizeibeamten heraus kehren und die Sache polizeilich lösen, das würde Lehmann sicher nicht riskieren, wenn er nicht für den Rest seines Abends die Tarnung verlieren und dem Gasmörder signalisieren wollte, dass sein Vorhaben beobachtet wurde.
    Â»Jenitzky«, knurrte Sándor ihm entgegen, »lassen Sie doch den Scheiß. Ich bin auf Ihrer Seite! Wer hat denn hier die Polizeirazzia platzen lassen, um Sie zu schützen? Das war doch ich, erinnern Sie sich doch, Mann!«
    Jenitzky erinnerte sich in der Tat; dieser Typ hatte sich mit seinem heldenhaften Eingreifen bei ihm einschmeicheln wollen, das war ihm jetzt klar – und hatte nebenbei eine Saalschlacht entfesselt, die ihn um die Hälfte seines Mobiliars gebracht hatte.
    Â»Papa, bitte.« Jetzt kam

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