Black Coffee
Bibliothek, wie dieser Raum allgemein genannt wurde, diente zugleich als Salon. Sie war eher gemütlich als vornehm eingerichtet, hatte eine Tür zur Terrasse sowie eine Verbindungstür zu Sir Clauds Arbeitszimmer. Auf dem Sims über einem großen offenen Kamin standen eine altmodische Uhr und zwischen allerlei Zierat eine Vase mit Fidibussen zum Feueranzünden.
An Mobiliar enthielt diese Bibliothek einen hohen Bücherschrank, auf dem ganz oben ein Blechkasten stand, einen Schreibtisch mit Telefon, einen Bürostuhl, einen kleinen Tisch für Grammophon und Schallplatten, ein Sofa, einen Couchtisch, ein Beistelltischchen, auf dem zwischen Bücherstützen ein paar Bücher standen, zwei gewöhnliche Stühle an einem großen runden Tisch in der Zimmermitte, einen Lehnstuhl und ein weiteres Tischchen, auf dem ein Messingtopf mit einer Zimmerpflanze stand. Lauter altmodische Möbel, die aber weder alt noch vornehm genug waren, um als Antiquitäten zu gelten.
Lucia war eine sehr schöne junge Frau von fünfundzwanzig Jahren, deren volle dunkle Mähne ihr um die Schultern floß, und mit braunen Augen, die erregend blitzen konnten, nun aber von einer unterdrückten, nicht leicht zu benennenden Empfindung vor sich hin glommen. In der Zimmermitte blieb Lucia zögernd stehen, anschließend ging sie zur Terrassentür, schlug die Vorhänge leicht auseinander und blickte in den Abend hinaus. Mit einem kaum hörbaren Seufzer drückte sie die Stirn an das kühle Glas und hing ihren Gedanken nach.
Von der Diele her hörte man Miss Amory »Lucia, Lucia, wo bist du denn?« rufen. Unmittelbar darauf trat sie in die Bibliothek. Sie war ein paar Jahre älter als ihr Bruder und gab sich gern ein bißchen überbesorgt. Jetzt nahm sie Lucia beim Arm und führte sie mit sanfter Gewalt zum Sofa.
»So, mein Liebes, nun setz dich mal hierher«, sagte sie, wobei sie auf das eine Sofaende zeigte. »Gleich wird's dir wieder bessergehen.«
Lucia setzte sich und sah mit einem matten Lächeln der Dankbarkeit zu Caroline Amory auf. »Ja, ja, gewiß«, sagte sie. »Es geht ja auch schon vorbei.« Ihr Englisch war makellos, vielleicht ein wenig zu makellos, und nur ihr Tonfall verriet hin und wieder, daß es nicht ihre Muttersprache war.
»Mir ist nur plötzlich ein bißchen komisch geworden«, fuhr sie fort. »Wie dumm. So etwas ist mir noch nie passiert. Ich kann es mir gar nicht erklären. Geh nur wieder zu den anderen, Tante Caroline. Ich bin gleich wieder obenauf.« Unter Tante Carolines sorgenvollem Blick nahm sie ein Taschentuch aus ihrer Handtasche, tupfte sich die Augen damit ab und steckte es wieder ein. »Ich bin gleich wieder obenauf«, wiederholte sie lächelnd. »Wirklich.«
Miss Amory schien nicht recht überzeugt. »Eben sahst du aber gar nicht gut aus, Liebes, schon den ganzen Abend nicht«, sagte sie mit skeptischer Miene.
»Nein?«
»Nein, wahrhaftig nicht.« Miss Amory setzte sich neben Lucia. »Vielleicht hast du dich ja ein wenig erkältet«, zwitscherte sie besorgt. »Unser englischer Sommer kann ja so tückisch sein. Nicht zu vergleichen mit der heißen Sonne Italiens, an die du gewöhnt bist. Schönes Italien, sage ich immer.«
»Italien«, flüsterte Lucia mit abwesendem Blick, während sie die Handtasche neben sich aufs Sofa stellte.
»Italien ...«
»Ich weiß, mein Kind. Du mußt deine Heimat sehr vermissen. Es ist für dich bestimmt eine schreckliche Umstellung – zum einen das Wetter, und dann die anderen Sitten. Sicher kommen wir dir richtig kalt vor. Die Italiener dagegen ...«
»O nein«, rief Lucia mit einer Heftigkeit, die Miss Amory überraschte. »Ich vermisse Italien überhaupt nicht. Kein bißchen.«
»Aber hör mal, Kindchen, es ist doch keine Schande, hin und wieder etwas Heimweh –«
»Kein bißchen!« wiederholte Lucia. »Ich hasse Italien. Ich habe es immer gehaßt. Hier in England, bei euch lieben Menschen, das ist für mich wie der Himmel. Der wahre Himmel!«
»Es ist sehr lieb von dir, das zu sagen«, meinte Tante Caroline, »allerdings weiß ich nicht, ob du nicht nur höflich bist. Ja, wir bemühen uns alle, damit du dich hier glücklich und zu Hause fühlst, aber hin und wieder ein kleines bißchen Heimweh nach Italien wäre doch nur natürlich. Dazu noch ohne Mutter –«
»Bitte, bitte«, fiel Lucia ihr ins Wort. »Sprich nicht von meiner Mutter.«
»Natürlich nicht, Liebes, wenn du es nicht möchtest. Ich wollte dich nicht aufregen. Soll ich dir etwas Riechsalz holen? Ich habe
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