Black Dagger 11 - Blutlinien
Die Nacht mit ihrer sonnenlosen Pracht war hereingebrochen; ihr Eintreffen gewährte ihm Freiheit vom Anwesen der Bruderschaft … und die Möglichkeit, seinen Dealer Rehvenge zu kontaktieren.
Er schob das Bein ohne Fuß und Wade zuerst vom Bett, tastete nach seiner Prothese und schnallte sie unter das rechte Knie, bevor er aufstand. Er war so bedröhnt, dass die Luft um ihn herum sich anfühlte wie etwas, durch das man waten musste, und das Fenster, auf das er zusteuerte, schien kilometerweit entfernt. Aber alles war gut. Der vertraute Dunst war tröstlich, das Gefühl, zu schweben, während er nackt durch den Raum lief, wohltuend.
Der Garten unter ihm sah traumhaft aus, durch die Flügeltür erleuchtet vom Schein der Bibliothek.
So musste ein Ausblick sein, dachte er. All die Blumen in blühender Pracht, die Obstbäume voller Birnen und Äpfel, die Pfade ordentlich, die Buchsbäume gestutzt.
Dieser Blick aus dem Fenster war ein gänzlich anderer als der, mit dem er aufgewachsen war. Vollkommen anders.
Unmittelbar unterhalb seines Fensters standen Teerosen in voller Blüte. Die Rosen lenkten seinen Gedankenfluss auf eine andere Frau. Während er erneut inhalierte, stellte er sich seine Frau vor – diejenige, die er eigentlich zeichnen sollte … diejenige, mit der er gemäß Gesetz noch einiges mehr anstellen sollte, als sie nur zu malen.
Die Auserwählte Cormia. Seine Erste Partnerin.
Von insgesamt vierzig.
Mannomann, wie zum Henker war er eigentlich zum Primal der Auserwählten geworden?
Ich hab’s dir doch gesagt, versetzte der Zauberer. Du wirst zahllose Kinder zeugen, die alle auf Dauer das große Vergnügen haben werden, zu einem Vater aufzuschauen, dessen einzige Errungenschaft im Leben es war, jeden um sich herum im Stich zu lassen.
Okay, so ätzend der miese Sack auch war – dem konnte Phury schwerlich widersprechen. Er hatte sich noch nicht mit Cormia vereinigt, wie das Ritual es erforderte. Er war noch nicht wieder auf der Anderen Seite gewesen, um sich mit der Directrix zu treffen. Er hatte die anderen neununddreißig Vampirinnen, bei denen er liegen und die er schwängern sollte, noch nicht einmal kennengelernt.
Phury sog noch heftiger an seinem Joint, das ganze Gewicht dieser dicken, fetten Nullen landete auf seinem Kopf wie Felsbrocken, die der Zauberer geschleudert hatte.
Der Zauberer war extrem zielsicher. Andererseits hatte er ja inzwischen auch genug Übung.
Tja, mein Freund, du bist aber auch ein leichtes Ziel. Das ist doch die Hauptsache dabei.
Wenigstens beklagte sich Cormia nicht über die Vernachlässigung seiner Pflichten. Sie war nicht freiwillig seine Erste Partnerin geworden, sondern in diese Rolle gezwungen worden: Am Tag des Rituals hatte man sie auf dem zeremoniellen Bett festbinden müssen; mit ausgebreiteten Armen und Beinen – bereit für ihn – hatte sie dort gelegen wie ein zu Tode verängstigtes Tier.
Sobald er sie erblickt hatte, war sein System auf Voreinstellung zurückgesprungen: der Retter der hilflosen Jungfrau. Er hatte sie hierher ins Haus der Bruderschaft der Black Dagger gebracht und sie im Zimmer neben seinem eigenen einquartiert. Tradition hin oder her, er würde sich auf gar keinen Fall dieser Frau aufzwingen, und wenn sie ein bisschen Zeit und Raum hätten, um einander kennenzulernen, wäre es bestimmt einfacher.
Ja sicher … wohl eher nicht. Cormia hielt Abstand, während er seiner üblichen Alltagsbeschäftigung nachging: nach Möglichkeit nicht zu implodieren. Innerhalb der letzten fünf Monate waren sie einander – oder auch einem Bett – keinen Zentimeter nähergekommen. Cormia sprach nur selten und zeigte sich ausschließlich bei den Mahlzeiten. Wenn sie ihr Zimmer verließ, dann nur, um sich Bücher aus der Bibliothek zu holen.
In ihrer langen, weißen Robe kam sie ihm mehr wie ein nach Jasmin duftender Schatten vor denn wie ein Wesen aus Fleisch und Blut.
Die traurige Wahrheit jedoch war, dass das für ihn absolut in Ordnung war. Er hatte geglaubt, sich der sexuellen Verbindlichkeiten vollkommen bewusst zu sein, als er Vishous’ Platz als Primal einnahm; doch die Realität war sehr viel einschüchternder, als es die Vorstellung gewesen war. Vierzig Frauen. Vierzig.
In Worten: vier null.
Er musste den Verstand verloren haben, als er V dieses Angebot machte. Sein einziger Versuch, seine Unschuld zu verlieren, war ja weiß Gott schon kein Kinderspiel gewesen – und er hatte es mit einer Professionellen versucht. Wobei es
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