Black Jesus
weht im Wind. »Man kennt mich auf der ganzen Welt.«
»Das ist sie, Mama«, flüstert Lionel aus dem Schaukelstuhl. Seine Stimme klingt plötzlich ganz anders.
»Wart mal ’nen Moment, Schatz«, sagt Debbie und dreht sich wieder zu dem Mädchen. »Sie fahren hier einfach geradeaus, bis Sie an die erste Kreuzung kommen, biegen dann links nach Cairo ab, wo Sie an eine Ampel und eine Farm kommen. Das ist die Route 32. Sie fahren sechs oder sieben Meilen, dann sehen Sie es gleich hinter ›Mike’s Diner‹ auf der linken Seite.«
»Ich danke Ihnen«, sagt die Ausreißerin und startet ihr Moped. »Ich muss es unbedingt finden.« Sie setzt den Helm auf und rollt Richtung Straße.
»Wenn Sie American Karate sehen, sind Sie schon zu weit gefahren«, ruft Debbie ihr nach. Das Mädchen winkt, gibt Gas und ist verschwunden.
»Das war sie, Mama.«
»War wer?«
»Die Tänzerin.«
»Du kennst diesen Freak?«
Black Jesus lässt die Frage sacken. »Ja«, sagt er. »Das ist sie. Die Tänzerin.«
Allmählich geht Debbie auf, was er meint. Und der alte Schmerz in ihrer Stimme ist wieder da, als sie ihn fragt: »Als sie dich in die Luft gejagt haben?«
»Ja.«
»Das Mädchen, das nur du sehen konntest?«
»Ja.«
Noch ein Windstoß fegt unter die Planen, und die Krähen, die sich in den Bäumen versteckt hatten, schießen ins Freie, drehen über der Straße eine Pirouette und fliegen dann den Bach hoch, hinauf nach Kaaterskill Clove, wo einst ein gewaltiges Wasser den Berg in der Mitte zerschnitt, Gottes langsam fallende Guillotine – zehntausend Jahre bevor hier die ersten Kokaindealer mit den Zähnen mahlten, bevor die ersten Flaggen flatterten, bevor ein Ghettoblaster den Wind und den Regen beschallte.
Teil 2
TEIL 2
Gay Paris, New York
GAY PARIS, NEW YORK
Sie sind verführerisch lang, die Zigaretten, die Bea Two-Feathers raucht. Auf der elfenbeinfarbenen Packung steht »Extra Light«, darüber eine silberne, mit Juwelen besetzte Krone, die enorm Eindruck schindet, ja fast schon sexy ist – so als würde diese Billig-Marke jeder Frau, die sie in ihrer Handtasche trägt, einen Vorteil verschaffen gegenüber den anderen Sterblichen, ein stilvolleres Verhältnis zum Leben. Bea stützt einen Ellenbogen auf ihre Gehhilfe und bläst den Rauch durchs Fenster ihres Zimmers, das sich im ersten Stock des »Serenity Grove« befindet.
Es müssen die Filme gewesen sein. All diese Schönheiten in eleganter Garderobe, die auf Veranden saßen und über die Lichter von L. A., von Chicago oder London blickten. Diese kaum registrierbare Bewegung des Handgelenks, der geschminkte Mund, der den Filter nur leicht zusammendrückte, die flüchtige Spur der Glut in der Dämmerung – wie ein Stern, dem man bis ans Ende der Welt folgen wollte. Das war damals, als nichts unmöglich schien. Dreizehn war sie, als sie ihre erste Lucky Strike rauchte. Der Junge vom Ende der Straße hatte sie ihr gegeben, der Junge mit den Sommersprossen und den glühenden grünen Augen, der Junge, der keinen Vater mehr hatte und den alle für einen gefährlichen Strolch hielten. Er erzählte ihr von prähistorischen Flugechsen und japanischen Samurais und dass sein Großonkel mütterlicherseits niemand anderes als Buffalo Bill gewesen sei. Sie saßen in einem verschrotteten Truck, gleich hinter dem Bungalow, den er zusammen mit seiner Mutter bewohnte, die im Ort nur als Luder galt. Und was für ein seltsames Gefühl war es gewesen, als das Nikotin erstmals in ihrem Körper anschlug. Nachdem die Übelkeit sich gelegt hatte. Was für ein Gefühl.
»Erzähl mir mehr von diesen fliegenden Dinosauriern.«
»Sie hatten Flügel, die breiter waren, als dieser Truck lang ist. Wenn man einen hätte reiten können, hätte er dich zum Nordpol fliegen können.«
»Und was war mit dem Mann, der im Bauch des Wales lebte?«
»Er zündete eine Kerze und ritzte seine Lebensgeschichte mit einem Klappmesser in die Magenwand des Wales. Er hielt sich für 40 Tage und 40 Nächte dort auf, starb dann aber an Erstickung. Und als die Armee den Wal schließlich zum Bermudadreieck jagte und erlegte, schnitten sie ihn auf und fanden das Skelett des Mannes und all die Sachen, die er geschrieben hatte.«
»Was mach ich eigentlich mit der Zigarettenasche?«
»Man reibt sie sich auf die Jeans. Bringt Glück.«
»Aber ich trag doch ein Kleid.«
»Da wird’s wohl auch funktionieren.«
»Aber meine Eltern werden es sehen.«
»Willst du nun hören, was der Mann schrieb, oder
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