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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Felice
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Gesicht. Ungeniert mitten im Feld. Breitbeinig am helllichten Tage.

Wir begegnen uns, endlich.
    WIR BEGEGNEN UNS, ENDLICH.
    »Mike London hier mit der Wettervorhersage. Wir erwarten für heute Nachmittag einen überwiegend bedeckten Himmel, südlich von Albany auch sporadische Schauer. Am Samstagvormittag sollte der Regen so weit abgeklungen sein, dass wir am Wochenende mit Sonne und schwachem Wind rechnen dürfen. Die Temperaturen bewegen sich zwischen 16 und 18 Grad. Bleiben Sie nun dran für eine ganze Stunde mit ›Kuschelhits und Melodien von Gestern‹. Sie hören ›The Hawk‹ auf 98.9 FM. Und wir beginnen gleich mit einem Klassiker: Hier ist Phil Collins mit seinem Soundtrackknüller ›Against All Odds‹ von 1984.«
    »Mach’s lauter«, sagt Debbie und verspürt ein lustvolles Kribbeln. Sie wischt den Staub von einem Spiel zeug-Feuerwehrauto, das jemand heute Morgen in einer Kiste am Straßenrand abgestellt hat.
    »Mach’s doch selber«, sagt Black Jesus und schaukelt weiter, den Kopf umnebelt von Schmerzmitteln. »Mir geht der Quark so was am Arsch vorbei.«
    »Das kommt davon, weil du noch nie verliebt warst«, sagt seine Mutter und schwingt aufreizend ihre gigantischen Arschbacken. »Eines Tages wirst du’s schon verstehen.«
    Der Himmel über dem Dairy Queen ist grau und verhangen. Dünne Wolken segeln langsam und mürrisch vor sich hin. Zwei Krähen kommen aus dem Nichts und jagen sich durch die Bäume, artistisch und hypnotisierend in ihren Bewegungen.
    Just in diesem Moment hören sie einen Motor. Ein asthmatisches Keuchen und Knattern, das näher kommt. Es klingt nicht wie der Motor eines gewöhnlichen Fahrzeugs, sondern eher wie die tattrige Kettensäge, die Debbie vor vier Wochen einem Chinesen aufgeschwatzt hat.
    Dann sieht Debbie den rosafarbenen Helm. Und als das Moped den Weg hochkeucht und auf den Parkplatz rollt, atmet sie erleichtert auf, dass es nicht der amoklaufende Chinamann ist, der sie in Stücke zerlegen und obendrein seine zwölf Dollar zurückhaben will.
    »Wer ist es?«, fragt Black Jesus.
    »Keine blasse Ahnung«, sagt Deb. »Irgendein Mädchen auf einem Moped. Sieht mir ganz so aus, als hätte es eine Schraube locker. Und ich meine nicht das Stück Scheiße, auf dem sie fährt.«
    Das Mädchen setzt die Füße auf den Schotter, nimmt den Helm ab und schaut in der Gegend herum, als wäre sie gerade aus einem tiefen Traum gerissen worden – eine knochige Schlafwandlerin in schmierigen Jeans, die sich langsam wieder in die Welt zurücktasten möchte.
    »Kann ich Ihnen helfen«, ruft Debbie und drückt einen weißen Sticker auf das Feuerwehrauto, um ihn dann mit einem schwarzen Marker zu beschriften: »$ 8.50 fix«.
    Die Besucherin antwortet nicht. Sie wägt die Frage ab, die ihr die laute Frau unter der blauen Plane gestellt hat – und kommt zu der Einsicht, dass sie die Hilfe, die sie in ihrem Leben wirklich braucht, eigentlich von niemandem erwarten kann. Also sagt sie: »Ich muss diesen Mystery Spot finden. Wissen Sie, wo er ist?«
    »Herr im Himmel«, sagt Debbie und rappelt sich aus dem Stuhl hoch. »Das war die Abzocke von Old Man Gold. Er machte pleite, muss so um 1998/99 gewesen sein. Geschah ihm ganz recht. Nichts als Bauernfängerei: Wasser, das den Berg rauffließt – so was für’n Arsch. Eigentlich war er ein netter Mann. Trank wie ein Fisch, war aber süß wie ein Honigkuchenpferd. Als er starb, hieß es in der Zeitung, er sei ein KZ-Überlebender gewesen. Habe das ›Stein‹ aus seinem Namen gestrichen, als er hierhergezogen sei. Hat all die Jahre nie ein Wort gesprochen. Versteckte auch seine Tätowierung. Niemand von uns hatte eine Ahnung, was er in seinem Leben wohl durchgemacht hat.«
    »Ja. Das ist der Ort, den ich suche. Der Mystery Spot. Wie komm ich da hin?«
    Debbie dreht sich zu Lionel und flüstert: »Jesses, da hat aber jemand den kompletten Sprung in der Schüssel. Die wiederholt sich ja ständig.« Dann wieder zu dem Mädchen: »Sie werden dort nicht viel finden – außer giftigem Efeu und einem Schild, dass der Durchgang verboten ist.«
    »Der Mystery Spot«, sagt die Fremde. »Wo Dinge nicht sind, was sie zu sein scheinen. Wo das Unmögliche möglich wird.«
    »Wir haben hier eine Kandidatin für die Klapsmühle, Lionel«, flüstert Debbie.
    Ein Windstoß erfasst die Planen und schüttelt sie wie trockene Blätter.
    »Wer zum Teufel sind Sie bloß?«
    »Ich bin eine Ballerina«, behauptet das Mädchen auf dem Moped, und ihr schwarzes Haar

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