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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Felice
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sagte mir, dass sie eiskalte Hände habe. Sie sagte mir, ich solle sie fühlen, und legte mir eine Hand aufs Gesicht, und sie war wie ein Eisklumpen. Mama stand gerade unter der Dusche, also sagte ich ihr, sie solle sich ein Paar Handschuhe nehmen – egal welche.«
    »Debbie?«
    »Was, Joe?«
    »Gib mir den Schlüssel für die Handschellen.«
    »Herr im Himmel, wenn du mir nicht glaubst, dann guck dir doch selbst auf eBay an, wie viel Geld man für die Dinger bekommt.«
    »Die Handschuhe gehen mir völlig am Arsch vorbei, Debbie! Du solltest dich was schämen. Meinst du etwa, ich würde mich nicht mehr dran erinnern, wie du eine Nacht im Knast verbracht hast, weil du damals bei Jamesway in Catskill einen Mixer geklaut hast? Wie nennt man das denn? Willst du vielleicht den Bock zum Gärtner machen?«
    »Joe Two-Feathers! Was zum Teufel ist bloß in dich gefahren?«
    »Willst du es wirklich wissen?«
    »Natürlich, mein Turteltäubchen.«
    »Meine Mutter liegt im Sterben. Hat Krebs in den Lungen. Ich bin hierhergekommen, weil ich annehmen musste, dass du und BJ in akuter Gefahr seid. Und jetzt gib mir den gottverdammten Schlüssel.«
    Verdattert händigt sie ihm den Schlüssel aus. Joe geht zum Schaukelstuhl, wo Lionel unbewegt sitzt, kniet sich auf den Boden und nimmt der Tänzerin die Handschellen ab. Sie bewegt sich nicht. Mit dem Helm auf den Oberschenkeln, die Arme fest um die Beine geschlungen, sieht sie wie eine versteinerte Schildkröte aus, die jemand am Wegesrand gefunden hat.
    »Ist sie nicht wunderschön?«, sagt Black Jesus, aber niemand antwortet, weil sie alle nicht glauben wollen, dass er überhaupt so etwas sagt. Doch dann, wie die aufgehende Sonne, hebt sie langsam ihren Kopf und starrt den blinden Soldaten an, ihre grünen Augen ein Fragezeichen, ihr Kopf vom Helm umrahmt – und ihre Gesichtszüge wirken plötzlich wie die einer Exotin, die nach einer Reise durch Wind und Schmerz und Gott-weiß-was-noch-alles den Weg an diesen seltsamen Ort gefunden hat.
    »Sind Sie okay?«, fragt Joe.
    »Nein«, sagt die Tänzerin und schaut ihn an – und allein dieses Wort klingt wie eine Tragödie in drei Akten.
    »Sie armes Ding«, sagt Joe. »Wie heißen Sie denn?«
    »Gloria«, sagt Black Jesus. »Sie heißt Gloria.«
    »Also, Gloria, wir bringen Sie jetzt rein. Sie brauchen was zum Abendessen. Und eine Dusche. Sie werden die Nacht hier im Dairy Queen verbringen. Unter Freunden. Ist es nicht so, Debbie White?«

Venice Beach, California
    VENICE BEACH, CALIFORNIA
    Aufgewühlte See. Kinder auf dem Boardwalk. Schizos auf dem Fahrrad. Ein tätowiertes Liebespärchen eng umschlungen am Picknick-Tisch unter einem der Pavillons, Möwen zu ihren Füßen. Warren Zevon tönt aus einem gelben Cabrio, das auf die Rose Avenue einbiegt und so schnell verschwindet, wie es gekommen ist. Die fliegenden Händler packen ihre Sachen: der Typ mit den Sonnenbrillen, der Typ mit der Zuckerwatte, die Dame mit ihrer Kristallkugel. Lahmes Geschäft für einen Sonntag.
    Eine zwielichtige Dämmerung über dem merkwürdigen Strand: hinter dem blauen Meer, ganz im Westen, eine rosafarben schimmernde Nebeldecke. Dies ist der Ort, wo sich Eitelkeit und Schönheit und Verzweiflung und Liebe und Abschaum und heroische Vorsätze alle zu übertreffen versuchen, wo alles um ein Wort kreist, das wie eine imaginäre Schaufensterpuppe an ein Kreuz aus Plastik genagelt ist: California.
    Ross Klein muss ganz schön was hinlegen für sein Apartment: 13 Brooks Avenue, erster Stock. Ein großzügig gestaltetes Loft, das angeblich von einem abtrünnigen Frank-Gehry-Protegé designt wurde. Alles in gebürstetem Edelstahl und Schwarztönen, mittendrin gezielt ein aggressiver Farbklecks. In der Ecke schläft ein Mädchen auf seinem großen Messingbett. Ihr grellrotes Haar überall auf dem Kissen, ihr Herzschlag unmerkbar, ihr Mund trocken, ein nacktes Bein, das wie ein blasser Zweig aus der Decke zu wachsen scheint, die Fußnägel so rot wie frisches Blut. Gestern Nacht hatte er sie auf einer Musikbiz-Party kennengelernt. Als er ihr seinen Namen nannte, wurde sie rot und nippte kurz an ihrem Drink. Als sie geschluckt hatte, sagte sie, sie sei eine Singer-Songwriterin aus Florida, dem Panhandle im Norden Floridas. Er wusste nicht, wer sie war. Und weiß es immer noch nicht. Niemand weiß es.
    Als Ross Klein wach wurde, sah er auf seinem BlackBerry, dass es 6:09 war. Er versuchte, noch einmal einzuschlafen, konnte aber nicht: die Trucks draußen, das

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