Blackout
Psychiater und dieses Mädchen, die Gutierrez, zerhackt auf zwei Bahren im Leichenhaus. Ich habe eine Siebenjährige, die glaubt, etwas gesehen oder gehört zu haben, die aber zu verschreckt ist, um etwas Brauchbares von sich geben zu können. Ich bitte dich, mir zwei Stunden deiner Zeit zu widmen- wobei Zeit so ziemlich das einzige ist, wovon du mehr als genug hast-, und was bekomme ich zu hören? Bockmist.«
»Moment mal - ich habe nicht gesagt, daß ich es nicht tue. Du mußt mir nur erst einmal Zeit lassen, damit ich das alles verdauen kann. Ich bin gerade erst aufgewacht, und du platzt hier herein und schleuderst mir einen Doppelmord um die Ohren.«
Er ließ den Arm aus der Manschette vorschnellen und schaute auf seine Timex. »Zehn Uhr siebenunddreißig. Armes Baby.« Dazu funkelte er mich an und biß so herzhaft in die Birne, daß ihm der Saft übers Kinn lief.
»Du erinnerst dich vielleicht auch daran, daß das letzte, was ich mit der Polizei zu tun hatte, ein ausgesprochen traumatisches Erlebnis gewesen ist.«
»Das mit Hickle war einfach Pech. Und du warst in gewisser Weise ein Opfer. Ich denke nicht daran, dich in so etwas hineinzuziehen. Es geht lediglich darum, daß du dich eine oder zwei Stunden mit diesem Kind beschäftigst. Wie gesagt, wenn es angebracht erscheint, ein bißchen Hypnose. Danach essen wir Gnocchi bei meinem Italiener. Ich fahre zurück in meine Burg und versuche, meine Amouren wieder ins Lot zu kriegen, und du kannst gern wieder hierher in dein verwunschenes Schloß brausen. Und nächste Woche treffen wir uns zu einem kleinen Dinner, das nichts mit Arbeit zu tun hat - vielleicht zu einem kleinen Sashimi unten im Japsen viertel, okay?«
»Was hat das Mädchen denn nun wirklich gesehen?« fragte ich und sah zu, wie mein erholsamer Tag durchs Fenster davonflog.
»Schatten, Stimmen, zwei Männer, vielleicht auch drei. Aber wer weiß? Sie ist ein kleines Kind und völlig traumatisiert. Die Mutter ist genauso eingeschüchtert und kommt mir vor wie eine, die nicht unbedingt die Weisheit mit Löffeln gefressen hat. Ich wußte überhaupt nicht, wie ich ihr beikommen sollte. Ich hab’ es freundlich und nett versucht, Alex. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn ich einen Kollegen vom Jugendschutz dabeigehabt hätte, aber von denen laufen heutzutage auch nicht mehr viele herum. Lieber stellt man bei uns noch drei Dutzend bleistiftsortierende, stellvertretende Chiefs ein.« Er kaute an der Birne herum, bis nichts mehr übrig war als das Kernhaus.
»Schatten, Stimmen, das ist alles. Du bist der Sprachenspezialist, nicht wahr? Du weißt, wie man mit Kindern umgeht.
Wenn es dir gelingt, die Kleine zum Reden zu bringen, großartig. Wenn sie etwas sagt, was zu einer Identifikation führt, phantastisch. Wenn nicht, dann haben die anderen eben Glück, und wir haben es wenigstens versucht.« Sprachenspezialist… Es war eine Weile her, seit ich diesen Ausdruck verwendet hatte, in den Nachwehen der Hickle-Affäre, als ich merkte, daß ich plötzlich die Kontrolle verloren hatte, daß mir die Gesichter von Stuart Hickle und aller Kinder, die er mißbraucht hatte, nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten. Damals war Milo mit mir einen saufen gegangen. Und um zwei Uhr morgens hatte er sich lautstark gewundert, warum die Kinder es so lange mit sich hatten geschehen lassen.
»Sie haben nicht geredet, weil niemand wußte, wie man Kindern zuhört«, hatte, ich gesagt. »Außerdem hatten sie geglaubt, daß es ihre Schuld war.«
»Wirklich?« Er hatte hochgeschaut, mit blutunterlaufenen Augen, und seinen Krug mit beiden Händen festgehalten. »So was höre ich manchmal von den Mädchen bei der Jugendfürsorge. «
»So denkt man, wenn man noch klein ist: egozentrisch. Als Kind ist man der Mittelpunkt der Welt. Wenn Mammi ausrutscht und sich ein Bein bricht, halten sie sich für verantwortlich. «
»Und wie lange dauert das?«
»Bei manchen bleibt es immer so. Für die übrigen ist es ein vorübergehender, langsamer Prozeß. Mit acht oder neun sehen wir die Dinge schon klarer, aber auch in diesem Alter kann ein Erwachsener die Kinder manipulieren und ihnen klarmachen, daß es allein ihre Schuld ist.«
»Arschlöcher«, hatte Milo gemurmelt. »Und wie kriegst du es wieder hin mit den Kindern?«
»Man muß wissen, wie Kinder in verschiedenen Altersstufen denken. Entwicklungsstufen, verstehst du? Man spricht ihre Sprache, man wird regelrecht zum Sprachenspezialist.«
»Und das ist es, was du tust?«
»Genau
Weitere Kostenlose Bücher