Blackout

Haus. Viele Familienporträts. Nischen mit Statuetten, oben an den Zimmerdecken Kristallüster - ich erzähle das alles, damit du ein Gefühl dafür bekommst. Der Herr des Hauses führt mich in sein Studio, auf der Rückseite des Hauses. Das übliche Eichenfurnier, Wandregale mit ledergebundenen Büchern, Folianten, die man sammelt, aber nicht liest. Ein offener Kamin mit zwei Windhunden aus Porzellan davor, ein handgeschnitzter Schreibtisch, bla, bla, bla. Ich taste ihn ab, finde eine Zweiundzwanziger, nehme sie ihm weg. ›Es ist für meinen Schutz in der Nacht‹, sagt er mir. ›Man kann nie wissen, wer vor der Tür steht.‹ Er lacht, Alex, ich schwöre dir, ich konnte es kaum glauben. Da bricht das ganze Leben von diesem Kerl auf einen Schlag zusammen, er wird in den nächsten Tagen als Kinderschänder die Titelseiten der Zeitungen schmücken, und er lacht!
    Ich lese ihm seine Rechte vor, den ganzen Apparat, und er schaut gelangweilt drein. Setzt sich an seinen Schreibtisch, als wenn ich gekommen wäre, um ihn um eine Gefälligkeit zu bitten. Dann beginnt er zu sprechen. Lacht mir ins Gesicht. ›Wie amüsant‹, sagt er, ›daß man ausgerechnet Sie, den schwulen Bullen, in einem solchen Fall zu mir schickt. Gerade Sie müßten mich verstehen.‹ Und so weiter, eine ganze Weile, mit hämischen Andeutungen und hinterhältigen Bemerkungen, dann kommt er heraus damit und sagt es mir ins Gesicht. Daß wir gleich und gleich sind. Von einer Sorte. Perverse. Ich stehe da und höre mir das an und werde immer wütender. Er lacht wieder, und ich merke, daß er genau das will, er will die Kontrolle über die Situation behalten. Also versuche ich, mich zu beruhigen, erwidere sein Lächeln. Pfeife durch die Zähne. Er erzählt mir, was er mit den Kindern alles angestellt hat, als wollte er mich damit geil machen. Als ob wir Kumpel wären bei einer Sexparty. Mir dreht sich der Magen um, und er meint, wir säßen im selben Boot.
    Aber während er spricht, tritt sein Bild immer deutlicher heraus. Ich meine, sein psychologisches Porträt. Es ist, als ob ich hinter diese unheimlichen Augen sehen könnte, direkt in sein Gehirn. Und alles, was ich sehe, ist dunkel und schlecht. Nichts Gutes zu finden. Nichts Gutes, das je von diesem Kerl zu erwarten wäre. Er ist einer, der es nicht verdient hat, zu leben. Ich richte den Richter. Ich mache Prophezeiungen. Und er erzählt immer noch von den Partys, die er mit den Kindern veranstaltete, und wie sehr sie ihm fehlen werden.«
    Milo hielt inne und räusperte sich. Nahm mein Glas und trank es aus.
    »Ich sehe ihn immer noch wie auf einem Röntgenschirm, sehe in seine Zukunft. Und weiß auf einmal, was passieren wird. Ich schaue mich in dem großen Studio um. Weiß, wieviel Geld hinter diesem Kerl steht. Er wird freigesprochen werden wegen mangelnder Einsicht in seine Straftaten, und dann werden sie ihn für ein paar Jahre in einen eleganten Country Club bringen. Früher oder später kauft er sich frei und fängt wieder von vorne an. Also treffe ich eine Entscheidung. An Ort und Stelle.
    Ich trete hinter ihn, packe seinen mageren kleinen Schädel und drehe ihn herum. Dann nehme ich die Zweiundzwanziger, die ich ihm zuvor abgenommen habe, und drücke sie ihm in den Mund. Er kämpft, er wehrt sich, aber er ist schwach und alt. Es ist, wie wenn man ein Insekt gepackt hat, eine widerliche Wanze. Ich rücke ihn in die richtige Position, habe genug Berichte des Gerichtsmedizinischen gelesen, um zu wissen, wie es aussehen muß. Ich sage: ›Gute Nacht, Euer Ehren‹, und ziehe durch. Den Rest kennst du. Okay?«
    »Okay.«
    »Wie wär’s jetzt mit einem Schluck zu trinken? Ich bin am Verdursten.«

Buch
    Ein Selbstmord und ein Doppelmord schrecken die Bewohner von Los Angeles auf. Ein kleines Mädchen könnte vielleicht die Fäden zusammenknüpfen, wenn es sich mit Hilfe des Psychologen an die schrecklichen Dinge erinnerte, die es gesehen hat. Als Dr. Delaware sein Ziel endlich erreicht, zeigt sich die Polizei merkwürdig desinteressiert und Dr. Delaware gerät in ein Netzwerk des Bösen ...

Autor
    Jonathan Kellerman ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Kriminalautoren. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Kinderpsychologe. Seine Reihe mit dem Psychologen Dr. Alex Delaware ist berühmt für höchst einfühlsam entwickelte Figuren und eine raffinierte Handlung: Hochspannung von der ersten bis zur letzen Seite. Dafür ist er unter anderem mit dem „Edgar-Alan-Poe-Award”,