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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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das ist es.«
    Ein paar Minuten später hatte er gefragt: »Glaubst du, daß Schuldgefühl etwas Schlechtes ist?«
    »Nicht unbedingt. Es gehört zu dem, was uns zusammenhält. Aber wenn man zuviel davon hat, wird man zum Krüppel.« Er hatte genickt. »Ja, das gefällt mir. Die meisten von euch sagen nämlich immer, daß Schuldgefühl pfui-pfui ist. Wie du es sagst, das kann ich verstehen. Ich sage dir, wir könnten viel mehr Schuldgefühl brauchen. Die Welt ist voll von abgebrühten Wilden.«
    Damals hatte ich ihm nichts darauf erwidert.
    Wir hatten uns noch eine Weile unterhalten. Der Alkohol hatte an unserem Bewußtsein gezupft, und wir hatten erst zu lachen, dann zu heulen begonnen. Der Barkeeper hatte aufgehört mit dem Polieren seiner Gläser und uns angestarrt.
    Es war eine schlimme - eine verdammt schlimme Periode in meinem Leben gewesen, und ich habe mir gut gemerkt, wer seinerzeit dagewesen ist, um mir hindurchzuhelfen.
    Jetzt schaute ich zu, wie Milo die letzten Reste der Birne mit seinen überraschend kleinen, scharfen Zähnen kaute.
    »Zwei Stunden nur?« fragte ich.
    »Allerhöchstens.«
    »Laß mir eine Stunde Zeit, bis ich fertig bin und ein paar Sachen in Ordnung gebracht habe.«
    Aber das Bewußtsein, daß er mich dazugebracht hatte, ihm zu helfen, schien ihn nicht aufzumuntern. Er nickte nur und stieß dann die Luft aus.
    »Also gut. Ich fahre erst mal hinunter zur Station und erledige, was es dort zu tun gibt.« Wieder schaute er auf seine Timex. »Sagen wir, um zwölf?«
    »Fein.«
    Er ging zur Tür, öffnete sie, trat hinaus auf den Balkon und warf das Kernhaus der Birne übers Geländer und in das Grün darunter. Dann ging er die Treppe hinunter, blieb auf dem mittleren Absatz stehen und schaute zu mir herauf. Die Sonne schien ihm in sein zerfurchtes, narbiges Gesicht und verwandelte es in eine blasse Maske. Einen Augenblick lang fürchtete ich, er könnte sentimental werden. Ich hätte mir die Befürchtung sparen können. »Hör zu, Alex, wenn du schon hierbleibst- kann ich mir deinen Cadillac ausborgen? Der da-«, er deutete auf seinen alten Fiat, »- macht es nicht mehr lange. Diesmal ist es der Anlasser.«
    »Ach, du blöder Hammel, du willst ja nur mit dem meinen fahren.« Ich ging hinein ins Haus, holte die Reserveschlüssel und warf sie ihm hinunter.
    Er fing sie wie Dusty Baker, sperrte den Cadillac Seville auf und zwängte sich hinein, stellte dann die Sitze ein, damit seine langen Beine genügend Platz hatten. Der Motor sprang sofort an und schnurrte dann mit gebändigter Kraft. Milo grinste wie ein Sechsjähriger, der zum erstenmal mit Vaters Wagen spazierenfährt, und brauste den Hügel hinunter.

2
    Mein Leben war seit meinen Jugendtagen ziemlich hektisch gewesen. Als Einserschüler ging ich schon mit sechzehn auf das College und verdiente mir mit der Gitarre das Geld fürs Studium, wühlte mich durch ein Programm in klinischer Psychologie an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, der berühmten UCLA, und schaffte mit vierundzwanzig den Doktortitel. Dann ging ich zum Praktikum nach Nordosten, auf das Porter Institute in Langley, und kehrte anschließend wieder nach Los Angeles zurück, wo ich ein Forschungsstipendium am Western Pediatric Medical Center, der bedeutendsten Kinderklinik Kaliforniens, bekam. Nach der Studienzeit bot man mir eine Position als Psychologe beim Arztpersonal der Klinik an und zugleich ein Lehramt an der Fakultät für Kinderheilkunde der Universität, die eine Zweigorganisation des Western Pediatric war. Ich behandelte unzählige Patienten und veröffentlichte unzählige wissenschaftliche Abhandlungen.
    Mit achtundzwanzig war ich Professor für Pädiatrie und Psychologie, dazu Direktor eines Unterstützungsprogramms für medizinisch kranke Kleinkinder. Ich hatte einen Titel, der zu lang war, als daß ihn meine Sekratärinnen behalten konnten, und veröffentlichte immer mehr Schriften und Abhandlungen, bis ich mir schließlich einen Turm aus eigenen Werken erbaut hatte, in dem ich lebte: Fallstudien, Berichte über Experimente, Übersichten, Monographien, einzelne Kapitel in Lehrbüchern und einen eigenen esoterischen Band über die psychologischen Wirkungen chronischer Krankheiten bei Kindern. Meine Position war großartig, mein Gehalt keineswegs. Ich begann mir einträglichere Nebenjobs zu schaffen, empfing Privatpatienten in einer Praxis, die ich zunächst tageweise von einem Psychoanalytiker in Beverly Hills mietete. Die Zahl meiner Patienten

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