Blackout - Kein Entrinnen
beobachten –, war dies vielleicht eine so deutliche Veränderung meines Verhaltens, dass es ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Und die wollte ich. Ich wollte ihre Aufmerksamkeit unbedingt. Beinahe so sehr, wie ich ein persönliches Diktiergerät, eine Internetverbindung und eine Toilette wollte.
Der Wunsch nach einer Toilette stand langsam ganz oben auf der Liste meiner Bedürfnisse, begleitet von dem Verlangen nach einem Glas Wasser. Eben dachte ich bereits darüber nach, eine Ecke der Zelle als Klo zu benutzen, als die Sprechanlage mit einem Klicken ansprang. Kurz darauf hörte ich eine zweite, ebenfalls männliche Stimme: »Miss Mason? Sind Sie wach?«
»Ja.« Ich schlug die Augen auf. »Darf ich erfahren, mit welchem Namen ich Sie ansprechen soll?«
Er überging meine Frage, als würde sie keine Rolle spielen. Vielleicht spielte es für ihn auch keine Rolle. »Ich entschuldige mich für das Schweigen. Wir haben mit einer längeren Phase der Orientierungslosigkeit bei Ihnen gerechnet, und ich musste erst von einem anderen Teil des Gebäudes hergeholt werden.«
»Tut mir leid, dass ich Sie enttäuscht habe.«
»Oh, wir sind nicht enttäuscht«, sagte die Stimme. Sein schwacher Akzent klang nach Mittlerem Westen. Doch ich konnte nicht hören, aus welchem Bundesstaat er kam. »Ich versichere Ihnen, dass wir uns außerordentlich freuen, Sie so schnell wieder munter und bei Verstand zu sehen. Das ist ein wunderbares Zeichen für Ihre Genesung.«
»Ein Glas Wasser und ein Ausflug zur Toilette würden zu meiner Genesung mehr beitragen als Entschuldigungen und Ausflüchte.«
Nun klang die Stimme leicht verlegen. »Es tut mir leid, Miss Mason. Wir sind nicht davon ausgegangen … Einen Moment bitte.« Mit einem Klicken meldete sich die Anlage ab und ließ mich wieder in der Stille zurück. Ich blieb, wo ich war, und wartete.
Dann durchbrach das Geräusch eines sich öffnenden Hydraulikschlosses die Stille. Ich wandte mich um und sah, wie sich über der Tür eine kleine Platte zur Seite schob und ein rotes Licht zum Vorschein kam. Es sprang auf Grün um, die Tür glitt sanft auf und gab den Blick auf einen mageren, nervös dreinschauenden Mann in weißem Arztkittel und mit großen Augen hinter einer Brille frei. Er drückte sein Klemmbrett an die Brust, als wollte er sich damit schützen.
»Miss Mason? Wenn Sie mit mir kommen möchten, bringe ich Sie gern zur Toilette.«
»Danke.« Ich faltete meine Beine auseinander, achtete nicht auf das Jucken und Stechen in meinen Waden und ging zur Tür. Zwar zuckte der Typ nicht zusammen, als ich auf ihn zutrat, aber er wich eindeutig ein Stück zurück und wirkte mit jedem Schritt, den ich tat, unbehaglicher. Interessant.
»Wir entschuldigen uns, dass Sie warten mussten«, sagte er. Seine Worte klangen routiniert und eingeübt wie bei einer technischen Service-Hotline, die einen auffordert, den eigenen Namen und die Seriennummer des Computers anzugeben. »Wir mussten uns erst um ein paar Dinge kümmern, bevor wir weitermachen konnten.«
»Lassen Sie uns darüber sprechen, nachdem ich auf dem Klo war, okay?« Ich ging an ihm vorbei und trat auf den Korridor, wo ich mich drei Krankenpflegern in blauen OP-Klamotten gegenübersah, von denen jeder eine Pistole auf mich richtete. Ich blieb auf der Stelle stehen. »Okay, dann warte ich eben auf meine Eskorte.«
»Das ist das Beste, Miss Mason«, sagte der nervöse Mann, dessen Stimme ich nun als die aus der Sprechanlage wiedererkannte. Ohne die Filterwirkung der Lautsprecher brauchte ich für diese Erkenntnis einen Moment. »Nur eine notwendige Sicherheitsvorkehrung. Sicher werden Sie das verstehen.«
»Ja, natürlich.« Ich ging hinter ihm her. Die Krankenpfleger folgten mir, ohne ihre Waffen zu senken. Ich bemühte mich, keine ruckartigen Bewegungen zu machen. Nachdem ich eben erst ins Land der Lebenden zurückgekehrt war, hatte ich keine Lust, mich gleich wieder daraus zu verabschieden. »Werde ich vielleicht noch einmal erfahren, wie ich Sie ansprechen darf?«
»Ah …« Für einen Moment bewegte sich sein Mund, ohne dass etwas zu hören war, dann sagte er: »Ich bin Dr. Thomas. Ich bin seit Ihrer Ankunft in dieser Einrichtung einer Ihrer persönlichen Ärzte. Es überrascht mich nicht, dass Sie sich nicht an mich erinnern, denn Sie haben ziemlich lange geschlafen.«
»Nennen die jungen Leute das heutzutage so?« Der Korridor sah so aus, wie ich es von einer Einrichtung der Seuchenschutzbehörde erwartet
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