Blade 02 - Nachtklinge
Freudenschreien.
Tycho spürte, wie sich sein Oberkörper straffte. Entsetzliche Schmerzen durchströmten seine Arme und Beine; es war, als triebe ihn ein grausamer Einpeitscher eine steile Treppe hinauf, nachdem er ihm zuvor alle Glieder zerschmettert hatte.
Tychos innere Bestie warf sich gegen die Gitter ihres Gefängnisses, aber er schleuderte sie zurück. Die Bestie knurrte, fauchte, riss an seiner Seele, um sich zu befreien, aber Tycho blieb standhaft. Diesmal verwandelte er sich nicht in jenes Ungeheuer wie damals, in der Seeschlacht gegen die Mamelucken. Es war sein bisher größter Sieg.
Ein Kampf gegen sich selbst, von dem niemand wusste.
Der Gefangene war ein byzantinischer Meuchelmörder, der dank seiner exzellenten Ausbildung und zahlloser Amulette die mächtigsten Beobachtungszauber blockieren konnte. Auch ohne die Amulette wäre er stark genug gewesen, um länger zu überleben als die meisten seiner Mitstreiter.
Tausend Golddukaten für jede tote weibliche Millioni, fünftausend für Marco, weitere fünftausend für Frederick. Marco hätte zuerst sterben sollen. Insgeheim hatte er geahnt, dass dieser Auftrag einem Todesurteil glich; er würde seine Familie vermissen. Niemand konnte behaupten, Tycho befreie seine Opfer nicht ebenso gründlich von ihren Sünden wie ein Schwarzkreuzler.
Giulietta durfte das niemals sehen.
Eine blutbespritzte Zelle, die leere Hülle von etwas, das einmal ein Mensch gewesen war. Auf den Steinplatten daneben, bereit, den Tag zu durchschlafen, ein erschöpftes Wesen, das befürchtete, für eine Weile kein Mensch gewesen zu sein.
51
N ach dem verhängnisvollen Bankett lag Fredericks Schiff eine Woche lang draußen in der Lagune vor Anker. Die Mannschaft blieb an Bord, alle Botschaften der Zollbehörde blieben unbeantwortet. Da der Prinz wohl nicht abreisen würde, schickte Alexa schließlich frisches Brot, Fleisch, Äpfel, Wein, Dünnbier und drei besonders vertrauenswürdige Vorkoster hinüber.
Ihre Fürsorge wurde mit einer dürren Zeile des Prinzen quittiert, der sich bedankte und sich nach ihrem Wohlergehen erkundigte. Den Brief hatte er vermutlich eigenhändig geschrieben.
In Venedig ging man davon aus, dass er auf Anordnungen seines Vaters wartete, dem er kurz nach dem Fest eine Botschaft gesandt hatte. Also wartete die Stadt mit ihm, während Gräfin Eleanor zwischen Leben und Tod schwebte. Sie hatte Fieber, war weinerlich und wurde von den besten Ärzten der Stadt behandelt. Ein zerlumptes Mädchen ging auf Alexas Anweisung nach Belieben im Krankenzimmer aus und ein und kümmerte sich um die Kranke.
Tycho hatte sein Haus in San Aponal zurückerhalten.
Das war Marcos Beschluss gewesen, und Alexa schöpfte Hoffnung: Ihr Sohn stammelte weniger, wirkte selbstsicherer und schien zu verstehen, was vor sich ging. Alexa rechnete insgeheim damit, dass Giulietta wieder in die Ca’ Friedland einziehen würde. Sollte Alexa protestieren, falls Tycho ihr dorthin folgte? Zur Überraschung der Dogaressa blieben Giulietta und Tycho jedoch im Palazzo Ducale, und sie war noch überraschter darüber, wie wenig sie das störte.
Alexa hatte seit drei Nächten kein Auge zugetan, und allmählich machte sich die Anstrengung bemerkbar. Der kleine Drache war ebenfalls am Ende seiner Kräfte. Er war immer wieder um Fredericks Schiff geflogen und hatte nach verräterischen Anzeichen Ausschau gehalten.
Nero, der große schwarze Flughund, erregte einiges Aufsehen, als er in kunstvollen Kurven über den abendlichen Märkten durch die Lüfte glitt oder in pfeilschnellem Flug zur Riva degli Schiavoni jagte. Er war ebenfalls auf der Suche nach warnenden Zeichen, die Alexa entgangen waren. Alexa
spürte,
dass Unheil drohte, und würde keine Ruhe finden, bis sie wusste, was auf die Stadt zukam.
»Dogaressa?«
»Bring mir heißes Wasser in mein Arbeitszimmer«, befahl sie. »Außerdem kaltes Regenwasser, Weißwein und frisches Obst. Danach kannst du zu Bett gehen.«
Das Mädchen knickste und ging rückwärtsgewandt zur Tür hinaus.
Das heiße Wasser war für Alexas Tee und das kalte für die Jadeschale bestimmt. Den Wein würde Alexa nach einem Glas wegschütten, denn zum Wahrsagen brauchte sie einen klaren Kopf. Obst war ihrer Meinung nach das einzig halbwegs Essbare in Venedig. Während ihrer Ehe hatte sie, auf Marcos Wunsch und zu seiner Überraschung, widerspruchslos seine Mahlzeiten geteilt. Ihre Erziehung hatte sie auf die ungewohnte Nahrung vorbereitet.
Als der Tee zubereitet und
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