Blade 02 - Nachtklinge
stockte, als sie ihn lächeln sah. »Was ist denn?«
Statt einer Antwort hob er ihr Gesicht und küsste sie zärtlich. Sein Magen schlug Purzelbäume. Nach dem dritten kurzen, zarten Kuss öffneten sich ihre Lippen. Seine Finger tasteten nach dem Band an ihrem Hemd, und obwohl sich ihr Körper anspannte, schob sie seine Hand nicht weg. Er küsste sie von Neuem und zog vorsichtig die erste Schleife auf.
»Halt, das reicht …« Giulietta setzte sich auf, rückte den Halsausschnitt zurecht und band alle drei Schleifen, die sie Tycho hatte öffnen lassen. Sie strich sich vorsichtig über die Lippen und lächelte reumütig.
»Du bist gefährlich.«
Er sah sie überrascht an. »Nein, nicht für dich.«
»Das stimmt nicht, ich muss es schließlich wissen. Ich habe immer in der Nähe gefährlicher Menschen gelebt. Du bist auf andere Weise gefährlich.«
Tycho schwieg.
Hab Geduld, dann füllen die Menschen die Stille von selbst. Vielleicht sagen sie das, was du wissen musst. Was du wissen musst, rettet dir vielleicht das Leben. Was dein Leben rettet, dient auch deiner Mission.
Atilo war tot, aber Tycho hatte die Lehrzeit bei ihm nicht vergessen. Im Moment wartete er jedoch aus anderen Gründen.
Sie hatte seine Küsse leidenschaftlich erwidert, ihr Bein um seines geschlungen und sich an ihn gedrängt, um sich irgendwo zu vergessen, wo er sie nicht erreichen konnte. Sie hatte das Gesicht in seinem Nacken vergraben und das abgerissene Keuchen unterdrückt, das offenbar nicht für seine Ohren bestimmt war.
Zwischen ihnen hat sich etwas verändert.
Vielleicht lag es an seinem Geständnis, dass er Leopold gerettet hätte, wenn er gewusst hätte, wie. Oder dass er Hilfe suchend zu ihr gekommen war. Vielleicht lag es aber auch an dem, was gerade zwischen ihnen passiert war.
»Meine Tante vergiftet ihre Feinde. Was meinen Onkel betrifft … Morde zählen zu seinen kleineren Sünden. Der Rat beschließt täglich, Menschen zu hängen, zu enthaupten oder zu foltern. Unter diesen Menschen bin ich groß geworden. Und doch fürchte ich keinen von ihnen so sehr, wie ich dich fürchte. Du siehst aus, als wolltest du mir wehtun, und dann küsst du mich. Was ist, wenn es einmal andersherum ist?«
»Ich werde dir niemals wehtun.«
»Das hast du bereits getan«, gab sie zurück.
»Das ist längst vorbei.«
»Unrecht bleibt Unrecht. Obwohl ich eigentlich schon beschlossen habe, dir zu verzeihen. Verstehst du, was ich meine? Was du bist, kannst du schwerlich verstecken und ebenso wenig vortäuschen.«
»Und was bin ich?«
»Wie gesagt, du bist auf andere Weise gefährlich.«
Sie versetzte ihm einen Klaps, als er die Schleife wieder aufziehen wollte, und gab schließlich nach, als er schwor, sich damit zu begnügen. Sein Finger glitt unter die Goldkette und er zog einen Goldring hervor. Er war warm von ihrem Körper.
Er sah sie fragend an.
»Das ist Marcos Ring«, erklärte sie.
»Er selbst trägt den Ring.«
»Er trägt eine andere Version.«
»Das ist das Original?«
Sie seufzte. »In Venedig funktioniert das so. Marco trägt das Original, und
dieser
Ring ist nun die Kopie, auch wenn er älter ist. Ich habe den Ring mitgenommen, als ich entführt wurde, weil ich dachte, meine Tante und mein Onkel würden dann niemals die Suche nach mir aufgeben.«
»Weil sie zumindest den Ring finden wollten.«
»Stattdessen haben sie einfach eine Kopie anfertigen lassen.«
»Und den Juwelier getötet.«
»Bestimmt.«
Der Anblick ihres herzförmigen Gesichtes war überwältigend. Er liebte sie. Männer prahlten damit, dass sie bereit waren, aus Liebe zu sterben. Ich kann mehr anbieten, dachte Tycho. Ich will für die Liebe
leben.
Mit ihrer Hilfe gelang es ihm, jenen anderen Teil seiner Persönlichkeit zu zähmen.
»Erzähl mir von deiner Kindheit.«
Tycho schüttelte den Kopf. »Lass uns lieber über deine Kindheit reden.«
»Ich war noch klein, als meine Mutter gestorben ist … Man hat sie getötet … Mein Vater hat sie umbringen lassen.« Jedes Wort kostete sie sichtlich Anstrengung. »Niemand konnte es beweisen und niemand zweifelte daran.«
»Was geschah mit deinem Vater?«
»Atilo ließ ihn töten.«
»Das konnte natürlich auch niemand beweisen.«
Sie lächelte traurig. »Atilo brachte mich in seinen Armen, in eine Decke gewickelt, nach Venedig. Ich war klein und hatte Angst. Wir waren in den Bergen unterwegs und reisten nur in der Nacht. Er gab vor, das sei ein wunderbares Abenteuer. Inzwischen weiß ich, dass man
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