Göttlich verdammt - Angelini, J: Göttlich verdammt
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A ber wenn du mir jetzt ein Auto kaufst, gehört es dir, wenn ich in zwei Jahren aufs College gehe. Und dann ist es praktisch immer noch neu«, sagte Helen optimistisch. Leider fiel ihr Vater nicht darauf herein.
»Lennie, nur weil der Bundesstaat Massachusetts meint, dass Sechzehnjährige schon Auto fahren dürfen …«, begann Jerry.
»Fast siebzehn«, betonte Helen.
»… bedeutet das nicht, dass ich derselben Meinung sein muss.« Er stand bereits auf der Gewinnerseite, aber so leicht gab Helen nicht auf.
»Weißt du, die alte Karre hält höchstens noch ein oder zwei Jahre.« Helen startete einen neuen Versuch und bezog sich dabei auf den uralten Jeep Wrangler ihres Vaters, der vermutlich schon vor der Burg geparkt hatte, in der die Magna Charta unterzeichnet worden war. »Und denk doch nur an das ganze Spritgeld, das wir sparen würden, wenn wir einen Hybrid kaufen oder gleich ein Elektroauto. Das ist die Zukunft, Dad.«
»Mm-hm«, war alles, was ihr Vater dazu sagte.
Jetzt hatte sie verloren.
Helen Hamilton stöhnte leise und schaute über die Reling der Fähre, die sie zurück nach Nantucket brachte. Sie sah sich schon ein weiteres Jahr im November mit dem Rad zur Schule fahren und um eine Mitfahrgelegenheit betteln, wenn der Schnee zu hoch lag. Allein der Gedanke ließ sie schaudern und sie versuchte sich abzulenken. Wie so oft starrten einige der Touristen auf der Fähre sie an und Helen wandte so unauffällig wie möglich das Gesicht ab. Wenn Helen in den Spiegel schaute, sah sie zwei ganz gewöhnliche Augen, eine Nase und einen Mund – aber die Fremden von außerhalb starrten sie trotzdem immer an, was wirklich lästig war.
Zu Helens Glück waren die meisten Touristen auf der Fähre, um die schöne Aussicht zu genießen und nicht ihren Anblick. Sie waren so versessen darauf, vor dem Herbst noch eine Ladung Inselfeeling mitzunehmen, dass sie die Umgebung mit ständigen Aaahs und Ooohs bestaunten. Helen konnte alldem nichts abgewinnen. Soweit es sie betraf, war es das Letzte, auf einer kleinen Insel aufzuwachsen, und sie konnte es nicht erwarten, endlich aufs College zu gehen, weit weg von der Insel, von Massachusetts und wenn möglich auch der ganzen Ostküste.
Es war aber nicht so, dass Helen ihr Zuhause hasste. Sie kam sogar hervorragend mit ihrem Vater aus. Ihre Mutter hatte sie verlassen, als Helen noch ein Baby gewesen war, doch Jerry hatte schnell gelernt, seiner Tochter genau das richtige Maß an Aufmerksamkeit zu schenken. Er war nicht ständig um sie herum, aber dennoch war er da, wenn sie ihn brauchte. Und obwohl sie sich über die Sache mit dem Auto ärgerte, wusste sie auch, dass sie sich keinen besseren Vater wünschen konnte.
»Hey, Lennie! Was macht der Ausschlag?«, rief eine Stimme, die sie nur zu gut kannte. Es war Claire, ihre beste Freundin seit dem Babyalter. Sie stieß die schwankenden Touristen mit ein paar geschickt platzierten Schubsern zur Seite.
Die meerestrunkenen Tagesausflügler wichen Claire aus, als wäre sie ein Stürmer beim Football und kein zierliches Persönchen, das auf Plateausandalen dahergetrippelt kam. Sie glitt mühelos durch den Touristenschwarm und stellte sich neben Helen an die Reling.
»Giggles! Wie ich sehe, warst du auch für den ersten Schultag einkaufen«, sagte Jerry und umarmte Claire mitsamt ihren Taschen und Tüten.
Claire Aoki, von ihren Freunden Giggles genannt, war ein echtes Schlitzohr. Jeder, der nur ihre eins fünfundfünfzig Körpergröße und ihre asiatische Zartheit wahrnahm, ohne ihren scharfen Verstand und ihr freches Mundwerk zu erkennen, lief Gefahr, furchtbar unter den Angriffen einer deutlich unterschätzten Gegnerin zu leiden. Der Spitzname »Giggles« war gewissermaßen ihr Markenzeichen. Sie hatte ihn schon, seit sie ein Kleinkind war. Zur Verteidigung ihrer Familie und ihrer Freunde muss gesagt werden, dass es fast unmöglich war, sie nicht Giggles zu nennen. Claire hatte mit Abstand das sympathischste Lachen des Universums. Es klang niemals gezwungen oder gar schrill und zauberte absolut jedem in Hörweite ein Lächeln auf die Lippen.
»Na klar, Erzeuger meiner besten Freundin«, sagte Claire und erwiderte Jerrys Umarmung mit echter Zuneigung, ohne darauf einzugehen, dass er schon wieder den ungeliebten Spitznamen verwendet hatte. »Darf ich mal ein paar Worte mit deinem Nachwuchs wechseln? Tut mir leid, dass ich so unhöflich bin, aber es geht wirklich um hochgeheime, brisante Dinge. Ich würde es dir ja
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