Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi
in dem sie Geschichte machen konnten, herbeiführen, anstatt einfach auf ihn zu reagieren.«
Carlisle nickte langsam. »Es war überflüssig. Hätten wir lange genug gewartet, wäre der Aufschrei der Nation, der die Veränderung verlangt, die wir bewirken wollten, von allein gekommen.«
»Und deshalb haben Sie sich von ihnen getrennt.«
»Ich riet zur Vorsicht, zur Vernunft. Das war alles. Sie dachten, ich würde mich gegen sie stellen. Es war kein Kompromiß möglich, mir blieb keine andere Wahl«, sagte er bedauernd.
»Sie haben weiterhin versucht, den richtigen Augenblick herbeizuführen.«
»Sie wollten die Illusion einer Revolution schaffen, um alles in die Wege zu leiten«, gestand Carlisle ein. Als er fortfuhr, zitterten seine Lippen noch stärker als zuvor. »Der Plan sah vor, daß sie Washington erstürmten und den Präsidenten mit dem Großteil des Kongresses in einem offenen Angriff umbrachten. Die Folge würde Chaos sein, sogar Anarchie, die Befehlskette hätte keine Geltung mehr, und damit wäre eine vorgezogene Wahl möglich, bei der der Kandidat der Delphi den Sieg davontragen würde. Nach meiner … Entlassung behielt ich sie genau im Auge. Ich war der Ansicht, daß es ihnen nie gelingen würde, das eine Element zu finden, das sie brauchten, um ihren Plan durchzuführen.«
»Einen würdigen Kandidaten«, schloß Blaine.
»Aber dann haben sie einen gefunden«, erwiderte Carlisle. »Sogar einen aus ihren Reihen.«
»Samuel Jackson Dodd«, sagte Kristen gerade so laut, daß man sie hören konnte.
»Ein Mann, der die Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung hat und sogar schon ein ausgearbeitetes Programm vorlegen konnte«, fügte McCracken hinzu. »Gewählt mit einem Mandat, das ihm ermöglichte, alles zu tun, was er – und die Delphi – geplant hatten.«
»Mit der Aufgabe, ein Land wieder aufzubauen, das von dem Staatsstreich erschüttert worden war, den man Ihren Midnight Riders in die Schuhe schieben wird. Das hatte ich schon vermutet, als Sie mir gegenüber die Operation Gelbe Rose erwähnten.« Carlisles Blick verlor seine Sicherheit. »Dodd bekommt Blankovollmachten, um die Veränderungen herbeizuführen, auf die die Delphi schon seit Jahrzehnten hinarbeiten. Aber selbst das wird ihnen nicht genügen.«
»Wie bitte?« fragten McCracken und Kristen gleichzeitig.
Carlisle sah McCracken an. »Sie dürfen nicht vergessen, daß der Trilaterismus aus der Auffassung entstand, daß die USA die Ziele, die die Kommission im Sinn hatte, niemals verwirklichen kann, solange sie auf sich allein gestellt bleibt. Um eine langfristige Hegemonie zu erreichen, mußte man eine konzertierte, vereinigte Anstrengung auf einer internationalen Front zustande bringen. Die Kommission hat in zahlreichen Ländern auf der ganzen Welt Repräsentanten eingeschleust, wobei sie sich hauptsächlich auf jene Nationen konzentrierte, die über beträchtliche Rohstoffvorkommen und leistungsstarke Wirtschaften verfügen. Die Delphi haben dann versucht, diesen Repräsentanten zu einer ähnlichen Machtfülle zu verhelfen, die sie auch hier in den Vereinigten Staaten erlangen wollen. Sie – wir – wollten ausländische Vertreter, die mehr als nur bereit waren, Delphis Hilfe zu akzeptieren, ihre jeweiligen Nationen zu destabilisieren und letztlich ebenfalls die Macht zu ergreifen. Die Wirtschaft dieser Länder würde damit unter die zentralisierte Kontrolle der Delphi geraten.«
»Aufgrund einer komplizierten internationalen Verschwörung«, faßte Blaine zusammen.
»Deren Mitglieder nicht nur skrupellos sind, sondern zu einem Großteil die Ansichten der Delphi vertreten«, fuhr Carlisle fort. »Gruppen, die schon ihre Bereitschaft bewiesen haben, alles Nötige zu tun, um an die Macht zu kommen.«
»Terroristen?« fragte Kristen.
»Nein«, sagte Blaine, bevor Carlisle antworten konnte. »Die Trilaterale Kommission und die Delphi waren von Anfang an konservativ eingestellt, und nach dem ersten Fehlschlag ist ihre Einstellung höchstens noch konservativer geworden. Also werden sie sich im Ausland an diejenigen gewandt haben, deren Richtung der ihren am nächsten kommt: an die äußerste Rechte.«
Carlisle nickte beeindruckt. »Ganz genau, Mr. McCracken. Die Delphi benötigten solche Gruppen, um ihre Ziele durchzusetzen, und diese Gruppen konnten lediglich an die Macht kommen, indem sie die Hilfe der Delphi in Anspruch nahmen.«
»Inwiefern?« fragte Kristen.
»Das haben Sie doch gerade selbst erklärt,
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