Blamage!
Schamangst. Die Angst vor der Blamage gründet in der Furcht vor der sozialen Isolation, sie kann uns unterschwellig begleiten, aber auch in überwältigender Panik zutage treten und uns völlig kopflos machen. Scham ist auch deshalb so eine machtvolle Emotion, weil sie sich rasch ausbreiten und dabei alle anderen Gefühle überfluten kann â schlieÃlich drohen in jeder Interaktion, in jeder sozialen Beziehung BloÃstellung und Normverfehlungen. Die Diskrepanz zwischen dem, was man von sich und was andere von einem selbst erwarten, kann sich jederzeit auf plötzliche und intensive Weise manifestieren. Zudem verstärkt sich diese Emotion wie in einem Teufelskreis ganz von selbst: »Ich schäme mich, weil ich verlegen bin, weil ich sprachlos bin, weil ich unwissend bin, weil ich â rot werde; Punktum: Ich schäme mich fürs Schämen«. Der amerikanisch-schweizerische Psychologe Léon Wurmser spricht davon, dass »die Schamangst ganz besonders sich selbst bestätigt und daher besonders leicht zu traumatischer Mobilisierung und Kontrollverlust führt«. 17 Die Schamangst warnt uns vor den Gefahren, die eine BloÃstellung mit sich bringt. Jeder hat im Inneren Gefühle, Erfahrungen und Sehnsüchte, die im Alltag nicht nach auÃen dringen sollen. Das Gefühl der Peinlichkeit ist ein Kontroll- und Schutzmechanismus, ein Alarmsignal, das ertönt, wenn dieser Bereich des Intimen offengelegt zu werden droht. Es bewahrt uns einerseits davor, dass andere Einblicke in unsere innere Welt, unsere verborgenen Wünsche, Sehnsüchte und Ãngste erhalten, andererseits warnt es vor der Zerstörung eines Regelwerks, das mithilfe von Takt, Diskretion, Bescheidenheit und sexueller Zurückhaltung gegenseitigen Respekt und persönliche Integrität der Mitglieder einer Gemeinschaft sichert. Die soziale Funktion des Peinlichkeitserlebnisses liegt also in der Bestätigung der bestehenden Regeln. »Peinlichkeitsgefühle bremsen und regulieren egoistische und exhibitionistische Impulse«, so erläutert der Psychologe Wolfgang Rost deren Nützlichkeit. Wer sie verletzt hat, und deutlich macht, dass ihm diese Verletzung bewusst ist und er dies in irgendeiner Weise wiedergutmachen möchte, wird von den Mitmenschen als weit sympathischer und vertrauenswürdiger beurteilt als derjenige, der seinen Fauxpas stillschweigend und »cool« übergeht. Ersterer zeigt, dass er an den sozialen Regeln festhält, Respekt vor den anderen hat und Teil der Gemeinschaft bleiben will.
Stocken, Stümpern, Stottern â Das Schamgefühl und seine Erscheinungsformen
Die Schamangst markiert, was für die persönliche Integrität wichtig ist, welche Ansprüche man an sich und andere hat, und ist somit eine notwendige MaÃnahme der Selbstvergewisserung. Scham gilt als die treue Begleiterin des Narzissmus, und das Schamgefühl ist einerseits eng verbunden mit dem Selbstbegriff, den jeder von sich hat, den persönlichen Idealen und Prägungen, dem sogenannten Körperselbst. Zugleich ist es eine soziale Emotion: Schamempfinden geht auf die Spannung zwischen dem Ich und seinem Ideal zurück, im Gegensatz zum Schuldgefühl, das aus der Spannung zwischen Ich und Ãber-Ich resultiert. Schuldgefühle beziehen sich auf die Verletzung des anderen, Schamgefühle auf die Verletzung des Selbst. Im ersten Kapitel haben wir bereits eine Unmenge peinlicher Situationen kennengelernt â die eine oder andere vielleicht auch schon selbst erlebt â, jetzt soll es darum gehen, diese Erscheinungen in verschiedene Kategorien einzuordnen.
Sucht man nach den Hauptquellen von peinlichen Situationen und Empfindungen, lassen sich die meisten in die Typen der Körperscham , der Misserfolgsscham und der Ãberschreitungsscham aufteilen. Körperscham ist ein wichtiges Phänomen der kindlichen und vor allem jugendlichen Entwicklungsphase, die mit dem Körperbewusstsein zusammenhängt. Man vergleicht den eigenen Körper mit dem gesellschaftlich vermittelten Idealbild und registriert sorgsam die Reaktionen der anderen auf das eigene Körperbild. Besonders in der Pubertät und den Jahren danach kann dies â wie schon erwähnt â zum beherrschenden Thema und zur Quelle intensiver Peinlichkeitsgefühle werden. Körperscham empfindet, wer den herrschenden Idealbildern nicht entspricht, wer aus diesen Gründen isoliert oder
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