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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Saehrendt
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stürmte Christiane aus der Ausstellung, und Achim von Arnim fand seine Gattin bleich und zitternd vor. Die Gerüchteküche brodelte, die »unmögliche« Gattin Goethes war wieder in aller Munde. 36 Doch auch abgesehen von seiner späten Verbindung mit Christiane bot Goethes Lebenslauf genug peinliche Anekdoten, die kaum zum Bild des honorigen Poeten und faustischen Genius passen. Er erlaubte sich beispielsweise nicht wenige spätpubertäre Scherze, nachdem er im Alter von 26 Jahren an den Weimarer Hof berufen worden war. Zusammen mit dem damals erst 18-jährigen Fürsten Karl August wurde Goethe zur regelrechten Landplage: Die beiden ritten wie die Husaren übers Land, campierten im Freien, flirteten heftig mit den Bauernmädchen oder stellten sich auf den Weimarer Markt, um dort stundenlang mit knallenden Riemenpeitschen Lärm zu erzeugen. Einmal ließen sie die Fässer eines Kaufmanns den Berg herabrollen, und während dieser damit beschäftigt war, seinen Besitz mühsam wieder herbeizuschaffen, machten es sich Goethe und der Fürst in der guten Stube des Bürgers bequem und ließen sich bewirten. Im Übermut nahm Goethe ein Porträt des Kaufmanns von der Wand, schnitt das Gesicht heraus, steckte sein eigenes hinein und hielt es dem gepeinigten Hausherren entgegen, der erschöpft zur Tür hereinkam. Goethe soll sich übrigens als Neuling in der Hofgesellschaft zunächst recht unsicher und verlegen gezeigt haben, legte ein steifes Verhalten an den Tag, linkisch wirkte seine Ehrerbietung vor Ranghöheren, er tanzte schlecht. Erst eine Hofdame Anna Amalias, die strenge Frau von Stein, korrigierte diese blamable Unbeholfenheit und feilte an seiner Etikette. So wurde aus dem bürgerlichen Genie ein gewandter Hofpoet. Im Gegensatz zu Goethe schreckte Richard Wagner vor einer nichtstandesgemäßen Verbindung zurück. In seinen Memoiren schrieb er über seine erste große Liebe Therese Ringelmann, eine junge Dame, die Gesangsunterricht bei ihm nahm: »Doch hielt mich stets eine nicht sehr liebevolle Scham davon zurück, mein Liebesverhältnis vor meinen Freunden einzugestehen.« Und als Thereses Familie auf die Verlobung drängte, nahm der junge Wagner Reißaus – war der Schwiegerpapa in spe doch von Beruf Totengräber. Erst lange Jahre später beichtete Wagner in seiner Autobiografie Mein Leben diese Episode dem Publikum.
    Die bürgerliche Welt hatte sich mittlerweile ihre eigenen Rituale der Paarung und der Geselligkeit geschaffen, von denen einige vom Adel inspiriert worden waren. Die Partnerwahl sollte zudem die Abgrenzung zu den niederen Schichten sicherstellen. Gleichzeitig musste man sich vor Spielernaturen, Hochstaplern und falschen Baronen in Acht nehmen. Mit großer Sorgfalt wurden Bälle, Hausmusikabende, Teestunden und Salons organisiert, bei denen natürlich zahlreiche Gelegenheiten zur Blamage lauerten. Zu den schlimmsten gehörte ein misslungenes Balldebüt: Die Anzahl und Attraktivität der Männer, die bei einem Ball zum Tanz aufforderten, waren erfolgsentscheidend. Die Schriftstellerin Henriette Gräfin Keyserling (1839–1908) erinnerte sich an einen dieser Bälle, auf dem leider nicht sie, sondern nur eine ihrer Cousinen großen Erfolg hatte: »Solche Triumphe sind Mama nicht beschieden, ihre Mägdlein wurden beiseite gelassen, sie sitzen nebeneinander und schauen in das bunte Gewirr und sehen unter ihren Maiglöckchenkränzen so seltsam ernst und langweilig aus. Als wir nach Hause kommen, gehen wir still schlafen, wir haben nichts erlebt und finden nichts zu besprechen.« 37 Die Schriftstellerin und spätere Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (geborene Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau) berichtete von einem Ball, den sie als 18-Jährige besuchte: »Auf diesem Ball pflegte die Creme zu erscheinen, aber nicht ausschließlich, es waren auch mindere Elemente anwesend. Ich sehe noch meine Toilette: Ein weißes Kleid, ganz mit Rosenknospen besät. Voll freudiger Erwartung betrat ich den Saal. Voll gekränkter Enttäuschung habe ich ihn verlassen. Nur wenige Tänzer hatte ich gefunden. Beim Kotillon [frz. Gesellschaftstanz] wäre ich beinahe sitzengeblieben, hätte sich nicht schließlich ein hässlicher Infanterieoffizier, der sich zahlreiche Körbe geholt hatte, meiner erbarmt. Die hochadligen Mütter saßen beisammen – meine

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