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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Saehrendt
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empfunden. Der weibliche Organismus galt den Ärzten als »schwach«, »undicht«, »feucht«, die Menstruation gar als peinliche »Degenerationserscheinung«. Wie man sich vorstellen kann, war es in früheren Jahrhunderten eine erhebliche Leistung, ohne moderne Hygieneartikel die Menstruation zu verbergen. Merkwürdig, ja geradezu schamlos wirkt hingegen heute eine damalige Therapiemaßnahme zur Behandlung der sogenannten Hysterie: Im 18. und 19. Jahrhundert wurde eine manuelle Massage der äußeren Vagina durch Ärzte durchgeführt. Dass diese Behandlung, der sich manche »erkrankte« Frauen gerne und regelmäßig unterzogen, eine erotische Komponente haben konnte, war den Therapeuten offenbar kaum bewusst gewesen. Auch klärte man Mädchen ungern auf, eine direkte Erwähnung sexueller Themen und Probleme galt als peinlich und sollte in einer verantwortungsvollen und niveauvollen Erziehung unterbleiben. Umso peinlicher waren dann die Szenen in der Hochzeitnacht und den ersten Wochen der Ehe, als so manche bürgerliche Braut das Verhalten ihres Ehemanns als »Attacke eines Wüstlings« missverstand und schreiend flüchtete. Während an Mädchen und junge Frauen hohe Ansprüche in puncto Moral und Keuschheit angelegt wurden, durften junge Männer völlig ungeniert voreheliche Sexerfahrungen machen, und dies am besten mithilfe von Fachpersonal in einer dafür geeigneten Anstalt – dem Bordell. Mitunter geschah dies unter Aufsicht oder gar nach Anregung durch den Vater oder andere Verwandte bzw. Vorgesetzte. Es war also keineswegs peinlich, sich als Jugendlicher oder Erwachsener im Puff herumzutreiben. Der Romancier Gustave Flaubert erinnert sich in seinen Memoiren eines Irren allzu gerne an das Erste Mal: »Ich wusste, wohin ich ging«, schrieb er, denn er hatte schon tausendfach mit dem Gedanken gespielt, bis er es wagte, das geheimnisvolle Treppenhaus zu betreten, und an der ominösen Tür anzuklopfen: »Da umschlang ich sie mit meinen beiden Armen und presste meinen Mund auf ihre Schulter, ich trank da mit Wonne meinen ersten Liebeskuss, ich kostete da das endlose Verlangen meiner Jugend und die gefundene Wollust meiner Träume aus …« 35
    Bei Affären, vor allem aber bei einer längerfristigen Liaison oder gar Ehe, galt im ausgehenden 18. wie auch beginnenden 19. Jahrhundert das ungeschriebene Gesetz, sich stets »standesgemäß« zu verbinden. Trotz aller bekenntnishafter Volkstümlichkeit und Demokratieschwärmerei waren die sozialen Schichten noch immer scharf voneinander abgegrenzt. Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe musste dies erfahren, nachdem er in Weimar in reifem Alter seine große Liebe namens Christiane Vulpius gefunden hatte. Sie stammte aus einer verarmten Familie, war weder besonders gutaussehend noch gebildet (die Worte »Kritik« oder »Bibliothek« sprach und schrieb sie beispielsweise im Thüringer Dialekt als »Grüdick« und »Biebeldäck«). Christiane Vulpius galt als lächerlich unwürdig für einen Dichterfürsten. Man nannte sie »Goethes dickere Hälfte« oder einfach »die Blutwurst«. Die bessere Gesellschaft Weimars zerriss sich über sie das Maul. Schiller schrieb abfällig über Goethe, es sei ein Zeichen von Alter und »Torheit«, dass sich der Dichter mit so einer »Mamsell« zusammengetan habe. Das gehässige Reden und Lästern konnte selbst Goethe mit seiner ganzen Autorität nicht unterbinden. Nach 18 Jahren gemeinsamer Haushaltsführung heiratete er Christiane. Und selbst danach begegnete man ihr noch mit Hochmut, wie der folgende blamable Zwischenfall zeigt: Am 13. September 1811 besuchte Christiane gemeinsam mit der Schriftstellerin Bettina von Arnim in Weimar eine Kunstausstellung. Gezeigt wurden Werke eines Provinzmalers namens Meyer, der auch Christiane und ihren Sohn August porträtiert hatte. Bettina von Arnim mokierte sich über die Mittelmäßigkeit des Künstlers, doch Christiane fühlte sich persönlich getroffen, schließlich hatte der gute »Kunscht-Meyer« ja auch sie gemalt. Es kam zum handfesten Streit, böse Worte fielen, laut Überlieferung habe von Arnim gerufen: »Sie wahnsinnige Blutwurst!« Und Christiane soll der arroganten Großstädterin daraufhin mit einer Ohrfeige die Brille von der Nase gefegt haben. Wutentbrannt und laut schimpfend,

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